Streaming-Tipp: »The Man in the High Castle« Staffel 3
»The Man in the High Castle« (Staffel 3, 2018). © Amazon Studios
Natürlich weiß man, wie der Zweite Weltkrieg ausging. Was aber wäre, wenn Hitlerdeutschland den Krieg gewonnen hätte? Dieses Gedankenspiel wurde in der Literatur mehrfach durchgespielt, etwa von Philip K. Dick, dessen Roman »Das Orakel vom Berge« aus dem Jahr 1962 als Vorlage für eine der erfolgreichsten Eigenproduktionen von Amazon dient. Die erste Staffel von »The Man in the High Castle« lief 2015 an. Die dritte Staffel kann nun seit Oktober 2018 bezogen werden, und eine vierte ist auch schon in Arbeit.
Für alle Fans dieser Serie und sonstige Freunde komplexer visueller Fiktionen dürfte das eine gute Nachricht sein. Denn »The Man in the High Castle« überzeugt auch beim dritten Lauf gleich auf mehreren Ebenen. So ist das Szenario dieser Serie ohne jede Ironie oder Satire dystopisch; es geht ohne mildernde Abstriche um Leben und Tod in einem ausgefeilten Produktionsdesign, das popkulturelle Bezüge mit Nazimemorabilien kreuzt: So hört man in Haushalten der Nazi-Elite Bing Crosby, während an irgendwelchen Mauern uralte Schriftreste vor dem Feind warnen. Dieses »Es könnte doch auch so sein«, das Spiel mit Realität und Fiktion, erstreckt sich auch auf die Identität einiger Figuren; eine permanente Verunsicherung der Zuschauer ist die Folge. Ihre Säule ist der Science-Fiction-Rahmen: Nachdem Hitlerdeutschland und sein Verbündeter Japan im Jahr 1947 den Krieg gewonnen hatten, wurde auch die USA von den beiden Siegermächten unter sich aufgeteilt: An der Westküste herrschen die Japaner, die Ostküste und weite Teile des Südens gehören zum »Greater Nazi Reich«, in beiden Regionen wütet der Terror der Machthaber; die Mitte bildet eine zwar neutrale, aber hochunsichere Zone. Die Handlung ist 1962 angesiedelt, die historische Deutungshoheit der Sieger ist durchgesetzt. Nur nicht unter den Mitgliedern des Widerstands, der sich gegen die Herrschenden und ihre militant rassistische Politik formiert, ob in San Francisco oder New York.
In Staffel Eins ging es zunächst um die Etablierung dieser Machtverhältnisse und um Gerüchte über ihre in ominösen Filmen bezweifelte Legitimation. Dieses schwarzweiße Filmmaterial, das Juliana Crain (Alexa Davalos), eine Hauptfigur der Serie, in die Hände fällt, spielt eine wichtige Rolle: Offenbar ein Newsreel aus einer anderen Zeit/Welt, zeigte es einen anderen Ausgang der Historie – nämlich jenen, den wir kennen.
Die Möglichkeit, dass die Geschichte ja auch einen alternativen, offenbar besseren Weg hätte nehmen und dass man aktiv dabei hätte mithelfen können und sollen, ist zentral in der dritten Staffel von »The Man in the High Castle«. Entsprechend stehen Julianas Bemühungen, den Widerstand zu verbreitern, indem sie die Filmrollen bekannter macht, deutlicher im Mittelpunkt der Handlung – und damit auch die Schachzüge ihres Naziwidersachers, des Reichsmarschalls John Smith (Rufus Sewell) in New York, der diesen Widerstand final ausmerzen will, aber zugleich selbst unter Druck steht: Zum einen muss er den neuen FBI-Chef Hoover im Zaum halten, zum anderen sind Smiths Kinder unmittelbar von den Nazi-Erbgesundheitsgesetzen betroffen.
Hitler stirbt hier übrigens eines natürlichen Todes. Himmler wird sein Nachfolger und sprengt mit Feuerwerk erst einmal die Statue of Liberty. Der dritten Staffel von »The Man in the High Castle« eignet, was die Atmosphäre anbelangt, eine ganz eigene Düsterkeit, und was die Figuren anlangt, eine erschütternde existenzielle Müdigkeit. Skepsis, aber auch ein »Dennoch« grundieren die Erzählhaltung. Es droht erneut Krieg, zwischen den Japanern und den Deutschen. Und 25 Jahre Diktatur mit ihrer weitgehenden Auslöschung kultureller und politischer Diversifikation haben ihre Spuren auch unter den Unangepassten hinterlassen: »Was nützt es uns, eine andere Welt vor den Nazis zu retten?«, sagt eine Frau, der Juliana das Filmmaterial, das man auch »Visionen« nennt, gezeigt hat. Himmler, Smith und der Arzt Mengele experimentieren derweil mit einer Maschine, um in die »Nebenwelt« des Films zu gelangen – und diese zu erobern. Eine »Zukunft endloser faschistoider Welten« drohe laut Juliana, und wer mag, kann das gern auf unsere heutige Welt und neuere Wahlergebnisse beziehen.
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