Alles außergewöhnlich
Jennifer Lawrence spielt schon wieder in einem Film mit, der den Titel »Joy« trägt. Nein, es handelt sich nicht um eine Fortsetzung des Biopics von 2015, wo sie die patente Joy Mangano verkörpert, die gegen alle Widerstände mit der Vermarktung eines von ihr erfundenen Wischmopp reich wird. Ebenso wenig tritt sie im gleichnamigen Mädchenhandel-Drama von Sudabeh Mortezai auf, das gerade schöne Festivalerfolge in London, Chicago, Wien und Marrakesch feiert.
Der neue »Joy« mit Lawrence dürfte ein erheblich größeres Budget verschlungen haben, obwohl er kaum länger als eine Minute dauert. Es ist der Werbeclip für das neue Parfum von Christian Dior. Sie haben ihn wahrscheinlich schon gesehen: Die Schauspielerin räkelt sich darin lebensfroh vor einem Swimmingpool und schwimmt, trotz eines eng anliegenden Ballkleides, munter darin herum. Die Titelgleicheit ist ein verwirrender, aber purer Zufall: Auf Freude gibt es schließlich kein Copyright. Kaum vorstellbar, dass sich das Modehaus ausgerechnet von der erfolglosesten ihrer zahlreichen Zusammenarbeiten mit David O. Russell hat inspirieren lassen; wenngleich nicht auszuschließen ist, dass während des nassen Drehs ein Mopp zum Einsatz kam. Die Dreharbeiten müssen ohnehin wahnsinnig aufwändig gewesen sein, erforderten ein Team von 100 Leuten, darunter den Kameramann Emmanuel Lubezki. Regie führte Francis Lawrence, mit dem die Schauspielerin bekanntermaßen nicht verwandt ist, aber bereits vier Filme gedreht hat. Es gibt viel Kontinuität in ihrer Karriere, man denke nur an ihre häufige Partnerschaft mit Bradley Cooper, aber auch eine Reihe von Metamorphosen.
Zu der frühen Legende der Tochter eines Bauarbeiters aus Kentucky gehörte, dass sie ihre Inneneinrichtung nach wie vor bei IKEA kaufte und während der Arbeit an »American Hustle« ungezügelt Doritos-Chips verschlang, womit sie wohl etliche Kostüme ruinierte. Überhaupt, ihr Appetit: Sie behauptete, wie ein Scheunendrescher zu futtern. Nach dem Maßstäben Hollywoods gelte sie als dick. Ein Flair von Babyspeck trug anfangs sicher zu ihrem Sexappeal bei. Und vielleicht waren ihre Einlassungen in Interviews tatsächlich ihrer Ungezwungenheit geschuldet. Eventuell genügten sie aber schon der Pflicht, als moderner Star ein authentisch normales Leben zu führen und sich noch etwas aus ihrer Existenz vor der Prominenz zu bewahren, um die Distanz zu ihren Bewunderern zu verringern.
Ihre öffentlichen Auftritte waren zuweilen geprägt von der Ahnung, sie leiste sachten Widerstand gegen den Glamour. Man erinnere sich nur daran, wie sie bei der Oscar-Verleihung auf dem Weg zur Bühne stolperte und in ihrer Dankesrede vergaß, Harvey Weinstein zu nennen, was nicht nur im Nachhinein sympathisch wirkt. Diese Unbekümmertheit stand im Einklang mit den Rollen, in denen sie berühmt wurde. Natürlich wäre niemand so naiv (oder dogmatisch) zu hoffen, sie hielte dem proletarischen Rollentyp aus ihrem Durchbruchsfilm »Winter's Bone« auf alle Zeiten die Treue. Aber ihre Bodenständigkeit blieb in ihren folgenden Rollen vorerst erhalten, etwa der Figur aus »American Hustle«, der sie eine erfreuliche Vulgarität verlieh. Der vom deutschen Verleih ihrer ersten »Joy« beigefügte Titel (»Alles außer gewöhnlich«) widerspricht dem nicht. Ihre Heldinnen, zumal die achtsam martialische Rebellin Katniss des »Tribute von Panem«-Zyklus, haben nicht nur ihren eigenen Kopf, sie sind Individuen eigenen Rechts. Wenn sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlen, liegt es nicht an ihnen selbst, sondern den Umständen. Es ist durchaus offen, wohin sie Begabung und Temperament einmal führen werden. Sie wirkt zwar in einem weiteren Franchise mit, der »X-Men«-Saga, aber das besiegelt ihr Karriereschicksal nicht. Scarlett Johansson, für die es momentan keine Rückkehr aus dem Marvel-Universum zu geben scheint, könnte von ihr lernen.
Seit 2012 ist Lawrence nun Markenbotschafterin für Dior. Das Modehaus hat damit eine exzellente Wahl getroffen: Sie ist der wahrscheinlich umsatzstärkste Star ihrer Generation, und ihre Schönheit zeichnet sich durch das aus, was man gerade in dieser Branche als "natürlich" empfindet. Aktuell steht für Dior eine Menge auf dem Spiel. »Joy« ist das erste neu kreierte Parfum seit 20 Jahren, dass die Firma herausbringt. Mit der Werbekampagne gehen für die Schauspielerin auch Verpflichtungen einher, die sie aus ihrem eigentlichen Beruf kennt. Beispielsweise muss sie Interviews geben, allerdings nur Modezeitschriften, soweit ich sehe, in denen ihr gleichnamiger Film nicht erwähnt wird. Vermutlich setzt Lawrence' Status als Markenbotschafterin ihrer Rollenauswahl keine nennenswerten Grenzen - immerhin hat sie sich auf »Mother!« eingelassen -, es stellt sich aber die Frage, ob es irgendwann nicht doch einmal zu Unverträglichkeiten kommen könnte.
Ein Werbegesicht zu sein, ist die dritte Identität einer Schauspielerin, nach der Privatperson und den unterschiedlichen Charakteren, die sie spielt. Die ersten zwei verschmelzen dabei übrigens oft: Wir haben ihre Rollenbilder im Hinterkopf, sollen aber den Eindruck gewinnen, sie erlebe gerade privat das Glücksgefühl, welches das Produkt verspricht. Auch in der dritten Identität darf sie also nicht einfach in ihrer Rolle verschwinden, vielmehr muss ihre Persönlichkeit hindurch scheinen. Dieses Mandat scheint die Ansicht des amerikanischen Philosophen Stanley Cavell zu bestätigen, für den ein Filmschauspieler im Gegensatz zum Bühnendarsteller überhaupt kein Schauspieler ist, sondern ein Objekt der Betrachtung.
Das ist indes auch insofern kompliziert, als die Werbeästhetik sie aus der Wirklichkeit in ferne Sphären entrückt. Die Lichtsetzung folgt anderen Prinzipien als in Spielfilmen, denn sie verherrlicht nicht nur das Antlitz, sondern verzaubert das gesamte Ambiente. Oft liegt so viel Scheinwerferlicht auf den Gesichtern und sind diese digital so sehr nachbearbeitet, dass man sie auf Anhieb nicht immer erkennt. Die Darstellerinnen unterliegen einem anderen, nivellierenden Schönheitsideal, das archetypischer ist und gewissermaßen gesichtslos. Ich musste jedenfalls zweimal hinschauen, um Lawrence am Pool zu erkennen.
Ihre Präsenz wirft ohnehin Probleme auf. Zwar destilliert sich in ihrer Star-Persona durchaus etwas Allgemeines, Gewöhnliches, ohne dass dabei die Aura des Unverwechselbaren verloren geht. Aber Lawrence' eigentümliche, spannungsvolle und widerspenstige Lebendigkeit könnte ein werbetechnisches Risiko darstellen. Die Legende der Privatperson spielt allerdings in diesen Auftritt hinein. Es ist unvergessen, wie verletzt Lawrence sich durch die Veröffentlichung intimer Fotos fühlte, die vor zwei, drei Jahren dank eines Hackerangriffs ins Internet gelangten. Auch im Werbespot wird ihre körperliche Präsenz sexualisiert, wenngleich auf mondäne Weise. Zwar sind ihre Schultern unbekleidet, aber stets ahnt man, dass sie das relativ hochgeschlossene Ballkleid trägt. Zudem wurde für die Dreharbeiten (ich nehme an, der Unterwasserszenen) ein Bodydouble verpflichtet. Der Spot operiert also gleichsam im Spannungsfeld puritanischer und französischer Auffassungen von Sinnlichkeit. Der Duft, den sie bewirbt, verheißt nach Auskunft von Dior übrigens eine ebenso leichte wie üppige Lebensfreude. Das wiederum passt zur Aura der Schauspielerin, die in »Joy« aber glücklicherweise nicht die Rolle ihres Lebens spielt.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns