Unverwüstlich
Es ist bestimmt mehr als nur ein gescheiter Zufall, dass keine der bisherigen John Le Carré-Verfilmungen von britischen Regisseuren inszeniert wurden, sondern von Amerikanern, Australiern, Brasilianern, Skandinaviern und gerade erst dem Südkoreaner Park Chan-wook. Es braucht offenbar das Korrektiv eines fremden Blickwinkels auf dessen spezielle, hermetische Welt.
Auf das ebenso erz-britische Werk Agatha Christies lässt sich diese Regel nicht ganz so eindeutig übertragen. Für die neun Jahrzehnte seit der ersten Verfilmung eines ihrer Krimis verzeichnet die IMDb gut 160 Adaptionen, die meist fürs Fernsehen, allerdings auch auf so ziemlich allen Kontinenten entstanden sind. Im Kino hat sich die Außenperspektive in der Tat bewährt. Die Freunde der Miss-Marple-Serie von George Pollock mag dies brüskieren, aber die besten Christie-Verfilmungen haben unstrittig René Clair, Billy Wilder, Sidney Lumet und nun Gilles Paquet-Brenner gedreht; Frank Tashlins »Die Morde des Herrn ABC« nehmen wir hier besser mal aus. Mit ein wenig Phantasie hingegen darf man Robert Altmans »Gosford Park« mit eingemeinden; zumindest der Handlungsstrang um Michael Gambon ist ein raffiniert getarnter Vorstoß in Christies Kosmos.
Anscheinend verlangt ihre fest gefügte Welt nach einer Öffnung ins Fremde, nach einem fernen Licht, das ins Dunkel leuchtet. Das gilt umso mehr, da die Topographie dieser Welt ebenso klar konturiert ist wie beispielsweise das John-Updike-Country. Wir meinen, schon im voraus die Szenerie und das in ihr auftretende Personal genau zu kennen. Es handelt sich um Enklaven britischer Lebensart, auch wenn die Handlung in den ehemaligen Kolonien oder anderen Sphären mondän eingehegter Exotik spielt. (Wunderbar der Stoßseufzer, der Sean Connery als Colonel Arbuthnot im ersten »Mord im Orient Express« zur Erklärung des ganzen Schlamassel entfährt: »Der Balkan!« ) Auch die Gemächlichkeit von Erzählton und -tempo ahnen wir schlafwandlerisch voraus. Es soll idyllisch imperial zugehen im Reich der »Queen of Crime«. Lumet ahnte das schon 1974, als er den Erfolg seines »Orient Express« mit einem Wort erklärte: Nostalgie.
Dass sich in ihre Figurenensembles immer wieder dubiose Amerikaner oder andere ausländische Störenfriede mischen, lässt einen skeptischen Blick hinter der Kamera nur noch dringlicher werden. Der xenophobe Argwohn ist eine Konstante in ihrem Werk, die »Das krumme Haus«, der heute in unsere Kinos kommt, durchaus ironisch umspielt. Das Mordopfer ist ein einst mittellos aus Griechenland eingewanderter Industriemagnat und die Hauptverdächtige dessen zweite Ehefrau, die er im liederlichen Las Vegas aufgabelte. Und da Julian Fellowes' Drehbuch die Handlung von der unmittelbaren Nachkriegszeit in die späten 50er verlegt, darf das britische Selbstverständnis von Kommunistenangst und Rock 'n Roll erschüttert werden. Die Besetzung schielt ohnehin auf den amerikanischen Markt, Christina Hendricks und Gillian Anderson sind formidable Verdächtige, ebenso wie Glenn Close, die den Maulwürfen, die den stattlichen Landsitz zu verwüsten drohen, vorzugsweise mit der Schrotflinte den Garaus macht (fürwahr, diese Figur wäre ganz nach dem Herzen meines Vaters gewesen). Der Franzose Gilles Paquet-Brenner inszeniert dieses Pandämonium indes mit einer agilen Behaglichkeit, die auch einem einheimischen Regisseur Ehre gemacht hätte. Die Mechanik ihrer Intrigen ist nach wie vor gut geölt. Tatsächlich erlebt Christie aktuell eine erstaunliche Renaissance, im Londoner West End (wo »Die Mausefalle« ohnehin seit 1952 ununterbrochen läuft) ebenso wie bei der BBC und im Kino als auftrumpfendes Franchise für Kenneth Branagh. Man muss nur aufpassen, nicht zu sehr von ihrem Stil abzuweichen, denn das dürfte den Tatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllen.
»Das krumme Haus« dient in dieser Woche mithin als ein willkommen argloses Gegengift zu Lars von Triers »The House That Jack Built«. Es hätte allerdings auch ganz anders kommen können. Sechs Jahre vor Beginn der Dreharbeiten wurde »Das krumme Haus« schon einmal als ein Projekt von Neil LaBute angekündigt, dem mormonisch erzogenen Poeten existenzieller Verstörung. Fraglos wird ihn das schockierende Finale, auf das Christie besonders stolz war, intrigiert haben. Die geplante Besetzung war eine Spur glamouröser (Gemma Arterton, Gabriel Byrne, und Julie Andrews hätte ich gern am Abzug der Schrotflinte gesehen). Wer weiß, welche Freiheiten er sich genommen hätte. Eventuell wäre die downstairs-Perspektive der Dienerschaft tragender geraten. Immerhin stammte bereits das damalige Drehbuch aus der Feder von Fellowes, der sich mit »Gosford Park« als Spezialist für Morde in vornehmer Gesellschaft empfohlen hat und seither mit »Downton Abbey« zu einer eigenen Marke geworden ist. Denn britische Drehbuchautoren braucht es eben doch: nicht nur für milieunahe Dialoge, sondern insbesondere als Garantie, dass das Klassensystem nicht völlig aus den Fugen gerät.
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