Friedliche Rivalität
Um den Oscar für den besten ausländischen Film konkurrieren in diesem Jahr zwei Filme, die mehr verbindet als trennt. »Cold War« von Pawel Pawlikowski und »Roma« von Alfonso Cuarón sind in Schwarzweiß gedreht; beide haben Wurzeln in der Biographie ihrer Regisseure: Pawlikowski hat sich von der unmöglichen Liebe seiner Eltern inspirieren lassen, Cuaróns Film ist eine Hommage an sein Kindermädchen.
»Cold War« startet heute in unseren Kinos, während die Netflix-Produktion »Roma« in den USA und einigen anderen Territorien nur einen Alibistart hat, um sich für die Oscars qualifizieren zu können. Die Filme entfalten ein historisches Panorama aus intimer, privater Perspektive. Beide Regisseure sind bekannt geworden durch ihre Arbeit in einer anderen Kinematographie - Pawlikowski drehte seine ersten Spielfilme in Großbritannien, Cuarón feiert spektakuläre Erfolge in Hollywood -, und sind für die Filme in ihre jeweilige Heimat zurückgekehrt. Vor allem aber sind sie miteinander befreundet. Mir war schon seit einiger Zeit aufgefallen, dass der aus Polen stammende Regisseur seinem mexikanischen Kollegen oft im Abspann seiner Filme dankt, namentlich bei »My Summer of Love« und »Ida«. Das ist eine faszinierende Konjunktion, denn auf Anhieb bringt man die zwei nicht zusammen. Ich glaube, sie lernten sich kennen, als sie einmal gemeinsam in einer Festival-Jurys saßen. Bei Master Classes bittet Cuarón seinen Freund zuweilen mit auf die Bühne; einmal haben sie gemeinsam ihre Favoriten aus der "Criterion Collection" vorgestellt.
Aus einem Interview mit Pawlikowski erfuhr ich, dass Cuarón zu den ersten Leuten zählt, denen er ein Drehbuch schickt und sie um ihre Meinung bittet. Agnieszka Holland gehört ebenfalls zu diesem Kreis, was im Falle von »Ida« nicht überraschen muss. Diese Verbundenheit wird keine Einbahnstraße sein. Zwar taucht Pawlikowskis Name bis "Roma" nicht im Abspann von Cuaróns Filmen auf – persönliche Danksagungen sind bei Hollywood-Produktionen eher Ausnahme -, aber Alfonsos Sohn Jonás dankt ihm in seiner Regiearbeit »Desierto -Tödliche Hetzjagd« von 2015.
Mir gefallen solche Allianzen, die zufällig entstehen und dann nachhaltig bleiben. Auf den guten Festivals berühren sich unterschiedliche Sphären des Kinos: in aller Ursprünglichkeit, unbelastet von der Unvereinbarkeit, die Kritiker vielleicht unterstellen. Da spricht man ungezwungen über Fragen des Handwerks, der Inspiration, man tauscht Erfahrungen aus: ungeachtet der Hierarchien, die sich aus Gagen und Budgets ergeben könnten. Gute Filmfestivals sind Familienfeiern, bei denen die Verwandtschaft des Weltkinos außer Frage steht. Falls »Roma« und »Cold War« es in die engere Auswahl des Auslandsoscars schaffen, befürchte ich keine Rivalität, Missgunst oder Zerwürfnisse. Das Drama, das für die Öffentlichkeit stattfinden wird, bleibt vielleicht äußerlich und betrifft die Beteiligten nicht im Kern. Interessanter ist vielmehr die Frage, was man sich zu sagen hatte, welche Ratschläge gegeben und angenommen wurden. Das klingt nach einer Utopie, ist aber bestimmt das größere, reichere Mysterium.
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