Kritik zu Aggregat

© Zorro Film

2018
Original-Titel: 
Aggregat
Filmstart in Deutschland: 
29.11.2018
L: 
92 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Ein Dokumentarfilm geht an die Schnittstellen zwischen Bürgern, Politik und Medien und sammelt sachliche Beobachtungen eines aufgeregten Landes

Bewertung: 4
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»Gedreht an verschiedenen Orten in Deutschland, 2016/2017«, meldet lapidar eine Texttafel zu Beginn. Die Orte, das sind der Bundestag, wo Besucher die Parlamentsarbeit kennenlernen und im Hintergrund Abgeordnete den richtigen Umgang mit rechten Thesen trainieren; ein Infomobil, in dem Dresdner Bürger ihren Unmut über die Politik äußern können; eine Demo gegen »Volksverräter« und »Lügenpresse«; oder ein Bürgergespräch des sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig, SPD. Das sind aber auch die Redaktionen von »taz« und »Bild«, wo auf unterschiedliche Weise die Schlagzeilen des Tages diskutiert werden, oder beim MDR, wo man an einem Bericht über die identitäre Bewegung ­arbeitet.

Der Rechtspopulismus spaltet die Gesellschaft, und der Film »Aggregat« geht dorthin, wo sich die Brüche zeigen, wo die Welten der Bürger, der Politiker und der Medien sich begegnen und ineinander spiegeln, häufig ziemlich verzerrt. Mit Rechten reden – aber wie? Und bringt es was? Viel Wut auf der einen, viel Ratlosigkeit auf der anderen Seite, dazwischen Journalisten, die beides in eine nachvollziehbare Erzählung bringen sollen.

Marie Wilke weiß, wie die Medien arbeiten, hat sie doch früher selbst TV-Beiträge geschnitten. Diese Sachkenntnis merkt man ihren Beobachtungen an, und doch pflegt sie wie bereits bei »Staatsdiener«, in dem sie werdende Polizisten bei der Aus­bildung begleitete, einen gänzlich anderen Stil: Sehr distanziert, in langen, meist statischen Einstellungen, ohne jeden Kommentar und ohne Wertung registriert die Ka­mera, was da geschieht. Sie erzählt nicht, sie zeigt. Manchmal ist sie sogar mehr an den anderen Beobachtern einer Szene als am Geschehen selbst interessiert – wenn etwa
bei einer Kundgebung nur Zuhörer im Bild sind. Zwischen all den unverbundenen ­Szenen ­betonen Schwarzblenden das Fragmentarische des Projekts.

Über ein flüchtiges Stimmungsbild geht »Aggregat« aber hinaus. In all seinen Facetten geht es um grundlegende Fragen, darum, wie sich die komplexen Vorgänge in einer Demokratie in Sprechakten, Ritualen und Inszenierungen ausdrücken – von wütenden Sprechchören einer Demo bis zum nüchternen Frage-Antwort-Spiel einer Pressekonferenz – und wie diese Kommunikation unter dem gegenwärtigen Druck funktioniert. Der Film ist antidramatisch in Bild und Montage, und doch mag manche Beobachtung alarmieren. Etwa wenn die SPD des Landkreises Meißen darüber diskutiert, ob man in einem Bericht die ­sinkende Kriminalität erwähnen sollte, widerspreche sie doch dem subjektiven Unsicherheitsempfinden vieler Bürger. Sollte man den Besorgten also besser nach dem Munde reden, um Volksnähe zu zeigen?

Marie Wilke, ihrem Kameramann Alexander Gheorghiu und Editor Jan Soldat gelingt es, all diese Beobachtungen zwar in einen Kontext zu stellen, aber kein trügerisches Großnarrativ à la »Deutschland, 5 vor 12« zu konstruieren. Die Einzeleindrücke stehen für sich und sprechen für sich. Mit dieser Zurückhaltung und Offenheit ist »Aggregat« so ziemlich der klügste Film zu dieser aufgewühlten Zeit, den man sich vorstellen kann.

Was tut sich...? – Filmgespräch mit Marie Wilke

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