Kritik zu Der marktgerechte Patient
Leslie Franke und Herdolor Lorenz engagieren sich mit ihrem Dokumentarfilm gegen die Ökonomisierung des Gesundheitswesens
Alptraum-Horror-Szenarien von in dunklen Kellerfluren abgestellten OP-Patienten; Tod durch Vergessen; Pflegekräfte im Burn-out: Fast jeder kennt solche Geschichten. Und in Talkshows und Medien ist die Krise in deutschen Krankenhäusern schon lange ein heißes Thema. Jetzt kommt ein Film zum Thema in abendfüllender Länge ins Kino. Realisiert wurde er von einem Filmemacherduo, das seit Jahrzehnten mit engagierten Dokus in der Welt unterwegs ist und hier nun recht systematisch die Folgen der mit der Reform 2004 erfolgten Ökonomisierung des Gesundheitswesens mit ihren berüchtigten Fallpauschalen aufzeigt. Exemplarisch werden dabei Beispiele aus Hamburg und München aufgegriffen, wo die städtischen Krankenhäuser unter der privaten Konkurrenz und der unheilvollen Rolle von Beraterfirmen ausbluten. In Hamburg wurden gegen den Willen der Bevölkerung alle Krankenhäuser an den privaten Betreiber Asklepios verscherbelt, der Anleger mit zwölf Prozent Rendite lockt.
Das hat dramatische Wirkung auf das Wohl von Patienten und permanent schrumpfendem medizinischen Personal. Erzählt wird das in vielen illustrativ bebilderten und oft stark zerschnipselten Statements von Akteuren, Opfern und Kritikern, so dass es erst im letzten Teil des Films etwas größere Erzählbögen gibt. Das macht öfters den Eindruck, das ganze Stück sei etwas künstlich auf Kinolänge aufgeblasen worden. Unverständlich auch, warum man Menschen erst mit der Kamera aufnimmt, um dann für den Film ihre Gesichter zu verpixeln. Da hätte sich eine andere filmische Lösung finden lassen müssen.
In der Sache überzeugt die Argumentation aber. Und nicht nur, wenn der Chef der privaten Münchner Isarklinik von der Notwendigkeit redet, »Prozesse schlanker zu gestalten«, gibt das einen plastischen Eindruck von den Worthülsen, mit denen auch andernorts Kürzungen und Einschnitte schöngeredet werden. Neben viel Kritik (u.a. von einigen ehemaligen Klinikärzten und dem Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio) gibt es aber auch ein Beispiel des Guten: Am städtischen Klinikum Dortmund etwa setzt der neue Geschäftsführer Rudolf Mintrop ganz bewusst auf ein Programm, bei dem statt der Ökonomie der Patient im Zentrum steht.
Die politischen Hintergründe der Reform bleiben im Film eher blass, dabei wären Lehren daraus doch für die Strategien zukünftiger Kämpfe wichtig. Die bilden mit dem Streik an der Berliner Charité im Sommer 2017 und einer noch laufenden Initiative zum Volksentscheid gegen den Personalnotstand in Hamburg den Abschluss der damit ganz aktuellen Doku, die sich mit dem spendenbasierten Finanzierungsmodell »Film von unten« unabhängig von Filmförderung und Sendern aufgestellt hat und auf eine breite Mobilisierungs-Kampagne zum Thema zielt. Deshalb kann der Film nach der Kino-Premiere von interessierten Gruppen angefordert und in Eigenregie in Veranstaltungen vorgeführt werden. Dass er aus diversen Gründen nichts für allzu zart besaitete Nerven ist, versteht sich bei dem Thema von selbst.
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