Kritik zu Back to the Fatherland
Kat Rohrer und Gil Levanon porträtieren die zwiespältigen Reaktionen im Umfeld der Enkel von Holocaust-Überlebenden, die nach Österreich und Deutschland auswandern
Als Kind saß Uri Ben-Rehav in einer Wiener Straßenbahn. Ein Mitfahrender wies sich plötzlich als Gestapo-Mitglied aus und nahm den Knirps mit. Erst nach langem Hin und Her erfuhr er den Grund der Verhaftung. Seinen karierten Janker (ein österreichischer Ausdruck für eine Trachtenjacke) solle er bitteschön wegwerfen. Juden dürften die für Nationalsozialisten reservierte Farbkombination Schwarz-Weiß-Rot nämlich nicht tragen. Das Erlebnis traumatisierte den Jungen. Doch seinen Humor hat Ben-Rehav, der als 15-Jähriger aus dem KZ Theresienstadt befreit wurde, sich nicht nehmen lassen. Vor der Kamera werkelt der 87-jährige Israeli munter an seiner Modelleisenbahn. Erst wenn man genau hinschaut, entdeckt man zwischen liebevoll gebastelten Häuschen einen Wachturm wie aus einem Konzentrationslager.
Uri Ben-Rehav ist einer der Protagonisten von »Back to the Fatherland«, ein Dokumentarfilm, der eine doppelte Fragestellung aufwirft. Wie gehen Holocaust-Überlebende damit um, wenn – wie das momentan häufig geschieht – ihre Enkel nach Deutschland oder Österreich auswandern? Und umgekehrt: Fühlen die Enkel sich dabei als Verräter gegenüber den Großeltern? Eine ähnliche Diskrepanz spiegelt sich in der Geschichte der beiden Regisseurinnen. Gil Levanon ist Israeli. Ihr Großvater Jochanan Tenzer, der 1937 aus dem pfälzischen Laufersweiler nach Palästina floh, kehrte nie mehr nach Deutschland zurück. Als die Enkelin ihm vor laufender Kamera gesteht, dass sie nun dort hingeht, wo er verfolgt wurde, ist der ältere Herr sichtlich verstimmt.
Koregisseurin Kat Rohrer stammt aus Österreich. Auf dem Dachboden ihres Elternhauses steht eine große Holzkiste mit der Naziuniform ihres Großvaters. Diese scheinbar so ferne Vergangenheit wird im Film ausgesprochen lebendig. Als Uri Ben-Rehav seinen Enkel Guy besucht, der mit seiner Freundin in Österreich lebt, begleitet die Kamera ihn in einer Wiener Straßenbahn, wo er die einstige Verhaftung durch den Gestapo-Mann beim Erzählen noch einmal durchlebt. In dieser eindringlichen Szene spürt der neben ihm sitzende Enkel nicht nur das Unbehagen des Großvaters. Der Film arbeitet heraus, warum auch Guy in einem Stand-by-Modus lebt. Der Israeli hat mit der Freundin eine Abmachung getroffen. Fühlt er sich aus politischen Gründen unwohl, dann ist das junge Paar »mit dem ersten Flugzeug weg«. Sorgen bereitet Guy nicht nur das Erstarken der Rechten, sondern auch jene »einwandererfreundlichen Parteien«, deren Migrationspolitik den Nährboden für muslimischen Antisemitismus schafft.
Die Dokumentation, ein vielstimmiges Mosaik, das zwischen drei Sprachen hin und her mäandert, ist eine versöhnliche Ermahnung, dass neben der Willkommenskultur die Erinnerungskultur nicht ins Hintertreffen geraten sollte. »Back to the Fatherland« unternimmt eine filmische (Zeit-)Reise zwischen drei Generationen. Deutschland und Österreich werden dabei aus einer jüdischen Perspektive gezeigt. Dabei wird deutlich, in welch unterschiedlichen Formen der Holocaust heute noch präsent ist.
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