Venedig: Vom Mangel an Patriotismus bis zum Mangel an Originalität
»Peterloo« (2018). © Amazon Studios/Simon Mein
Viele schöne Filme zu zeigen ist das eine, aber so richtig lebendig wird ein Filmfestival erst, wenn es Kontroversen gibt. Und die entstehen selten da, wo man es absehen könnte. Nämlich nicht anhand von Filmen, die wie Mike Leighs »Peterloo« aus ihrer politischen Gesinnung – Pro-Demokratie, Anti-Brexit – keinen Hehl machen, auch wenn es um ein historisches Ereignis aus dem Jahr 1819 geht.
Nein, Kontroversen entstehen oft so zufällig wie aus Ryan Goslings argloser Bemerkung auf der Pressekonferenz zum Festivaleröffnungsfilm, Damien Chazelles hochgelobtem »Aufbruch zum Mond«. Er glaube, die Mondlandung sei weniger als amerikanische als vielmehr als menschliche Errungenschaft wahrgenommen worden, meinte Gosling. Was gewisse Kreise der amerikanischen Öffentlichkeit darauf brachte, ihre Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was der Film beim Nacherzählen des historischen Ereignisses explizit auslässt: er zeigt keine amerikanische Flagge auf dem Mond! Seither tobt in den entsprechenden Medienkreisen in den USA eine Debatte über die »Zulässigkeit« eines Films – den wohl gemerkt noch niemand dort gesehen hat – der die Mondlandung nicht gebührend amerikanisch-patriotisch abhandelt.
Wo man sich von der Debatte um »Aufbruch zum Mond« noch positive Wirkungen versprechen kann – sie mag dem Film als Publicity zugutekommen -, gibt es auch Kontroversen, die durch reine Provokation ausgelöst werden. Etwa wenn ein italienischer Regisseur, der als Berlusconi-Anhänger und -Apologet bekannte Luciano Silighini Garagnani, auf dem Roten Teppich ein bedrucktes T-Shirt mit der Aufschrift entblößt: »Weinstein is innocent«. Wobei der Akt intendierten Missbetragens keineswegs die Frage von Weinsteins Schuld neu aufwarf, sondern eher die notwendige Diskussion anfacht über Italiens Umgang mit #Metoo und mit den Frauen, die es wagen, ihre Missbrauchsvorwürfe an die Öffentlichkeit zu bringen.
Die Feierstimmung um den ersten italienischen Wettbewerbsfilm, Luca Guadagninos »Suspiria«, ließ sich jedenfalls durch kein T-Shirt wirklich beeinträchtigen. Wenn sich auch der vom Regisseur als »Cover-Version« des Kulthits von »Giallo«-Meister Dario Argento aus dem Jahr 1977 angekündigte Film als schwieriger denn erwartet erwies. Statt bloßem Augenzwinkern mit dem Vorbild nämlich entwirft Guadagnino um Argentos Horrorhexenparabel herum eine komplexe Geschichte um Schuld, Vergebung und das Fortwirken des Bösen.
Angesiedelt im von der Mauer eingeschlossenen West-Berlin des Jahres 1977 zieht er mit historischen Ausstattungsdetails und Pina-Bausch-Hommagen gewollt krude Verbindungen zwischen »Deutschem Herbst« und Nazivergangenheit, zwischen einem alten Psychoanalytiker, verschwundenen Frauen und einem sich als Tanzgruppe tarnenden Hexenzirkel. Seinen Löwen-Favoriten-Status scheint »Suspiria« nach den zwiespältigen Reaktionen bei der Premiere verloren zu haben, aber eine lange Nachwirkung als »übersehener« Kulthit lässt sich jetzt bereits absehen.
Ähnlich mag es dem neuen Film der Brüder Coen ergehen. »The Ballad of Buster Scruggs« löste lauwarme bis gleichgültige Reaktionen aus. Die episodische Struktur des Films, der als Anthologie verschiedene Western-Kurzgeschichten versammelt, macht es nicht leicht, den Film auf einen Punkt zu bringen.
Mit hochkarätigen Stars wie Tom Waits und James Franco besetzt, erproben die Coen-Brüder in jeder Episode einen leicht anderen Ton, von musikalischem Cabaret über bittere Groteske, romantisches Drama bis zum Gruselmärchen. Jede Geschichte bringt dabei eine andere Pointe und eine andere Seite ihres meisterhaft präzisen Regietalents zur Geltung; weshalb auch »Buster Scruggs« erst in der Nachwirkung zur vollen Geltung kommt.
Als typisches Beispiel eines Films mit schnell verpuffender Wirkung wird sich dagegen »A Star Is Born« erweisen. Das Regiedebüt des Schauspielers Bradley Cooper, der selbst die männliche Hauptrolle spielt, ist zwar in jeder Hinsicht gut genug, aber eben nie Extraklasse: Lady Gaga als das Starlet, das vom großen Country-Rock-Star entdeckt, nach oben gebracht und dann blamiert wird, zeigt genug Schauspieltalent, um zu bestehen.
Cooper selbst ist charismatisch genug als suchtgeplagter Musiker, vor allem die Konzertszenen sind mit viel Atmosphäre inszeniert. An keiner Stelle aber spürt man mehr als hinreichende Kompetenz. Auch hätte der Story, die hier zum wiederholten Mal erzählt wird, eine Neugewichtung vor allem, was das Machtgefälle im Geschlechterverhältnis und die Rolle von Liebe, Sex und Karriere anbetrifft, mehr als gut getan.
Das 75. Filmfestival von Venedig geht am 8. September zu Ende.
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