Interview mit Wolfgang Murnberger über seinen Film »Nichts zu verlieren«
Wolfgang Murnberger
Herr Murnberger, Trauerreisen gibt es wirklich, das ist keine Erfindung der Drehbuchautorin Ruth Toma?
Es gibt sie und das hat mich sofort interessiert, weil Tod immer interessant ist.
Das Dramatische ist eher verhalten in dem Film, es gibt Rückblenden, aber man sieht z.B. nicht den tödlichen Motorradunfall…
Ja, das Verhältnis von Komödie zu Tragödie ist 70:30, aber ich wollte die Tragödie drinnen haben in dem Film. Der Motorradunfall ist nicht im Film, weil die Toten ja nur als Vorstellung der Lebenden vorkommen. Und die Freundin erinnert sich eben nur daran, wie ihr Freund mit dem Motorrad beim letzten Mal weggefahren ist. Beim Unfall war sie ja nicht dabei! In der ursprünglichen Drehbuchfassung kamen die Toten gar nicht vor und die Geschichte der Trauerreisenden und die Geschichte der Räuber verlief zwar parallel, aber die Figuren der beiden Stränge haben untereinander nicht richtig interagiert. Ich glaube, es war auch eine gute Idee, dass einer der Räuber zum Trauerreisenden wird.
Die Rolle der Grenze zu Österreich haben Sie hinzugefügt?
Ja, das kam durch mich, weil ich fand, dass die Räuber ein Ziel brauchten. Das war vorher nicht drin, auch nicht, dass der eine verletzt war und deshalb einen Arzt brauchte. Dadurch ist die Dynamik entstanden, dass der Verletzte zu dem Arzt in Tirol will, weil er glaubt, er stirbt sonst – das ist der Motor, damit es weitergeht, weshalb sie in den Bus steigen und ihn entführen!
Es gibt eine Reihe schöner visueller Details, wo ich mich gefragt habe, ob Sie als Regisseur die hinzugefügt haben oder ob die schon im Drehbuch drin waren, etwa diese Perücke, eine Mütze mit Haaren hintendran…
Die habe ich einmal an einer Autobahnraststätte gesehen. Ich habe sie aufgesetzt und gedacht, »Super, die muss ich einmal für einen Film verwenden«. Wenn ich etwas sehe, das meine Aufmerksamkeit erregt, dann mache ich mir Notizen. Und wenn ich dann beim Drehbuchschreiben nicht weiterweiß, lese ich mir diese ganzen Dinge durch und plötzlich fügt sich irgendetwas zusammen. Das ist so ein Sammeln.
Mit Georg Friedrich arbeiten Sie nicht zum ersten Mal…
Nein, er hat eine Hauptrolle in »Mein bester Feind« gespielt und eine kleine in »Silentium«.
Hier spielt er eine jener Rollen, die eher typisch für ihn ist, während er in den letzten Jahren in Filmen wie »Aloys« auch andere Facetten zeigen konnte…
Diese Rolle habe ich ihm auf den Leib geschrieben.
Spricht er seine Dialoge so, wie sie geschrieben haben?
Er macht dann schon noch Angebote: das könnte ich so oder so sagen. Ursprünglich war mein Plan, ich habe zwei österreichische und einen deutschen Räuber, damit dann die Österreicher mit dem Deutschen ‚schöner’ sprechen, damit man das auch in Hamburg versteht. Jetzt hatte ich aber drei Österreicher, da gab es überhaupt keinen Grund, warum die drei nicht so miteinander reden wie Österreicher miteinander reden. Deswegen haben wir dann über die Synchronisation ein paar Sachen ein bisschen deutlicher gemacht, wo wir den Eindruck hatten: das versteht man nicht einmal in Bayern. Der Dialekt ist nicht so schwierig, aber wenn man den dann noch verschleift und nuschelt, dann wird es unmöglich.
Die Dialoge sind ja auch sehr pointiert, etwa »vom Kaffee to go zum Kaffee to stay«…
Das ist von mir, ich habe gerne, wenn die Leute zwischendurch auch über Dummheiten lachen können.
Wie ist das mit der Besetzung: gibt es da Vorschläge, Wünsche von Seiten der Redaktion, vielleicht auch von Autorenseite?
Vom Autoren nicht, aber das könnte sich vielleicht durch die neue Autoreninitiative bald ändern – ach nein, sie wollen ja nur bei der Regiebesetzung mitreden, das finde ich auch interessant. Es ist bei jedem Fernsehfilm eine lange Diskussion: die Redaktion hat bestimmte Vorstellungen, der Regisseur hat bestimmte Vorstellungen, und auch die Produktionsfirmen haben bestimmte Vorstellungen – und alle wollen natürlich das Beste für den Film, jeder hat aber einen anderen Ansatz, das ist immer wieder sehr schwierig.
Das muss dann in Gesprächen geklärt werden? Es gibt keine Verträge, in denen steht: »Der Regisseur hat das Recht…«
Nein. Als ich begonnen habe, habe ich es allein gemacht, wie beim Kinofilm. Beim Kinofilm redet nur die Produktion mit, beim Fernsehfilm eben auch die Redaktionen. Es geht ja auch um Geld, die Tagesgagen der Schauspieler. Wenn man das Gagenbudget ausgeschöpft hat und es sind noch nicht alle Rollen besetzt, muss schon Mal der Herstellungsleiter eine kleine Rolle übernehmen und den zweiten Busfahrer spielen, wie es hier passiert ist.
Haben Sie außer mit Georg Friedrich hier mit weiteren Darstellern gearbeitet, die Sie schon kannten?
Christopher Schärf, der seinen Bruder spielt, verkörperte in »Das ewige Leben« den jungen Polizisten, der von Tobias Moretti erschossen wird – ich fand, dass beide vom kantigen Gesicht her und der sehr ähnlichen Sprache gut zusammenpassten. Mit allen anderen habe ich zum ersten Mal gedreht, aber ich kannte sie bereits aus anderen Filmen.
Der Anfang ist sehr dicht und temporeich erzählt, mit dem Wechsel zwischen den noch getrennten Protagonisten…
Das ist sehr wichtig bei Fernsehfilmen, da sitzen ja die Leute mit der Fernbedienung in der Hand: In den ersten fünf Minuten muss eine Komödie oder eine Tragikomödie wirklich einen Zug in die Geschichte haben. Ich unterrichte ja auch an der Wiener Filmakademie und kann da Filme zeigen, wo wir Fehler gemacht haben in den ersten Minuten und wo der Redakteur einem dann die Werte zeigt und sagt: »Nach fünf Minuten 10.000 Zuschauer weniger!« In Deutschland wären das 100 000 Zuschauer. Wenn man einen Fernsehfilm macht und am Anfang so viele Zuschauer verliert, dann muss man sich schon fragen, was man falsch gemacht hat. Das war bei dem Film »Der schwarze Löwe« so, in dem es um nigerianische Flüchtlinge ging, die einer österreichischen Fußballmannschaft zum Erfolg verhelfen und dann abgeschoben werden sollen. In der ersten Szene sah man die Afrikaner Fußball spielen, dann die österreichische Mannschaft, die verliert, dann den Trainer, der seinen leicht autistischen Sohn anschreit. Da haben alle Zuschauer weggeschaltet, die eine Komödie erwartet haben – es wird zwar noch komödiantisch, aber erst später. Aus dieser Erfahrung habe ich es beim nächsten Film, der ebenfalls auf einer wahren Begebenheit basierte, anders gemacht: Zwei Menschen mit Downsyndrom wollen heiraten, was der Staat nicht zulässt, da sie ja nicht unterschriftsfähig sind. Der Kampf um diese Hochzeit ist das Thema dieses Films. Da haben wir uns auch gefragt, wie können wir anfangen, ohne dass es gleich so problembeladen wird. Die Geschichte ging so, dass eine Richterin in den Ruhestand verabschiedet wird, bei der Feier zu viel trinkt und danach einen Autounfall verursacht - mit einem Vater, dessen Tochter das Downsydrom hat. Ich habe gesagt, »wir können nicht mit Behinderten-Turnen anfangen wie es im Drehbuch stand, wir müssen mit der Richterin anfangen, mit der Normalität, die die Zuschauer kennen.« Dann hat man auch gleich eine Identifikationsfigur und man geht mit dieser Figur in das schwierigere Thema hinein.
Vor nicht allzu langer Zeit lief von Ihnen auf dem Samstag, 20.15 Uhr-Termin in der ARD ein Krimi, der außerordentlich gute Zuschauerzahlen hatte…
Das war »Steirerkind«, eine rein österreichische Produktion für den ORF, als Teil der ORF-Serie »Landkrimis«. Der hat der Degeto so gut gefallen, dass sie ihn gekauft haben, um zu sehen, ob das in Deutschland auch funktioniert. Das hat sehr gut funktioniert, deshalb ist die Degeto eingestiegen und hat den nächsten »Steirerkrimi« gleich mitfinanziert. Ich drehe heuer im Oktober den dritten, zu dem ich mit meiner Frau das Drehbuch geschrieben habe.
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Sie laufend drehen…
Ich drehe gerne. Das ist mein Beruf. Ich könnte nicht, wie manche Regisseure, nur alle drei bis fünf Jahre einen Autorenkinofilm drehen, das wäre mir zu hobbymäßig.
Dabei sind Sie aber auf das Fernsehen angewiesen?
Kinostoffe sind viel schwerer zu finanzieren. Das Klinkenputzen bei den Förderstellen ist wirklich mühsam. Wenn man so viel Energie in ein Drehbuch steckt und dann keine Förderung bekommt, ist das furchtbar.
Gibt es trotzdem noch bestimmte Wunschprojekte für das Kino?
Josef Hader und ich haben zum Beispiel ein Kinodrehbuch geschrieben, einen Gegenwartsstoff, ein lustiger Italienurlaub, der zu einem Thriller mutiert. Josef Hader sollte die Hauptrolle spielen, Ursula Strauss, Moritz Bleibtreu, Simon Schwarz und Georg Friedrich waren auch schon dabei – der Film ist nicht gefördert worden. Auch wenn man erfolgreiche Filme gemacht hat, ist das keine Garantie, den nächsten gefördert zu kriegen – man könnte den Eindruck kriegen, es ist vielleicht sogar ein Hindernis. Ein Grund für die Ablehnung war: »Es ist zu wenig Geld im Topf, und der andere Regisseur wartet seit zwölf Jahren auf seinen zweiten Film!« Ja eh, traurig!
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