Heimatkrimis: »Da ghoat dr Doig«
»Sauerkrautkoma« (2018). © Constantin Film
Haben Sie nicht verstanden? Da geht der Teig, schwäbisch. Krimis in Mundart, mit viel Lokalkolorit, sind im Fernsehen seit Jahren Trend. Manchmal kommen sie auch ins Kino – wie aktuell »Sauerkrautkoma«, der fünfte Fall des launigen Franz Eberhofer, der im Bayerischen als »Dorfsheriff« wirkt
Provinz, Region? Mit welchem Beiwort soll man Krimis bezeichnen, die vom Negativraum zwischen den Metropolen erzählen? »Provinz«, aus der altertümlichen Amtssprache stammend, klingt abwertend; »Region« ist Verwaltungsvokabular mit vergraulender Wirkung. In der offiziellen PR etwa bei den Kluftinger- und Eberhofer-Krimis spürt man die Anstrengung, das verpönte Wort »Heimat« zu vermeiden. Da heißt es dann »Allgäukrimi« und »Niederbayernkrimi« oder bei anderen Verfilmungen »Eifelkrimi«, wenn nicht gar »Fränggischer Krimi«.
Dann doch lieber »Heimat«, ein zwar emotional belastetes, aber bildhaftes Wort. Das moderne Heimatkrimi-Genre, nennen wir es jetzt halt so, ist ein Fernsehgewächs und nicht erst seit dem Boom von Krimiromanen, mit denen nahezu jeder Winkel Deutschlands zum Tatort wurde, beliebt. Ein Dauerbrenner war etwa die »Pfarrer Braun«-Serie (2003–2014), die, inspiriert von Gilbert K. Chestertons Pater-Brown-Kurzgeschichten, erst mit der Erkrankung von Hauptdarsteller Ottfried Fischer endete. Wie einst Kaiser Barbarossa, der mit seinen Pfalzen durchs deutsche Reich tourte, so schlug auch Hobbydetektiv Pfarrer Braun in 22 Episoden quer durchs Land in landschaftlich reizvollen Kirchengemeinden seine Zelte auf.
Seither werden, angetrieben vom Romannachschub, immer neue Serien und Spielfilme gedreht, in denen eine Mordermittlung als Vorwand für eine humoristisch-touristische Lokalbegehung dient. Von nationaler Ausgewogenheit à la »Pfarrer Braun« jedoch keine Spur mehr: Die besten Produktionen konzentrieren sich unterhalb der Mainlinie. Zwar gibt es mit »Mord mit Aussicht« auch eine in Köln produzierte Erfolgsserie, die in der Eifel angesiedelt ist. Die Lage erkennt man jedoch nur an den Ortsschildern und an den Bemerkungen der stets grimassierenden jungen Kommissarin, dass sie endlich wieder in Köln shoppen wolle, wo Kultur ist. Ähnlich unambitioniert ist der SWR-Krimi »Frauchen und die Deiwelsmilch« mit Daniela Katzenberger, der in Bad Dürkheim gedreht wurde und sich stimmungsmäßig auf Weinfestniveau bewegt. Immerhin, es wird im Vorderpfälzer Dialekt gebabbelt, bis preußischen Kritikern die Ohren bluten.
Beim Publikum aber sind zumindest süddeutsche Heimatkrimis umso beliebter, je unverständlicher die jeweilige Mundart und der daraus entstehende Witz sind. Der Trend ist so stark (Ende August läuft etwa der Ulk »Die Glotzböbbel vom Dr. Mabuse«, eine schwäbisch synchronisierte Persiflage auf (»Die 1000 Augen des Dr. Mabuse« an), dass es auch solche Serien in lokal begrenztem Rahmen auf die große Leinwand schaffen. So hat die schwäbische Serie »Die Kirche bleibt im Dorf« zwei Kinoableger. Die Miniserie »Laible & Frisch« wurde mit Hilfe von Spenden 2017 in baden-württembergische Kinos gehievt. Zwar geht es nicht um Mord, sondern um eine Familienfehde beziehungsweise um den Konflikt einer alteingesessenen Bäckerei mit einem aus Hamburg kommenden Großbäcker. Doch so bieder die Klischees von Schwaben, die beim Geschäftemachen und beim Feiern gleichermaßen tüchtig sind, abgehakt werden, so kompromisslos wird hier – »da ghoat dr Doig« – auf der Mundart beharrt: sollen Fischköpfe und Eisenten halt die Ohren spitzen.
Und von wegen bieder: Ein kleiner Geniestreich ist »Trash Detective«, Maximilian Bucks Abschlussfilm an der baden-württembergischen Filmakademie. Da wird mit Verve ein Dorf-Desperado, der versoffene Schrotthändler Uwe Krollhass (Rudolf Waldemar Brem), präsentiert, dessen Ruf so ruiniert ist, dass er als Hobbydetektiv ungeniert die anständigen Bürger behelligen und die aufgeräumten Idyllen zerstören darf. Lachen kann man über diesen dirty old man Bukowski’scher Prägung nur mit zusammengebissenen Zähnen. In der düster-surrealen Inszenierung gewinnt das Ekelpaket, dessen unflätige Worte kaum zu verstehen sind, fast mythisches Format.
Generell gilt: Je weiter südlich, desto eigensinnger fallen Charaktere, Handlung und Inszenierung aus. Zwischen Grauen à la Tannöd und den glücklich-grellen Kühen der Milka-Werbung dienen insbesondere bayerische Landstriche als Spielwiese der Fantasie. Sogar die am Starnberger See angesiedelte »Schmunzelkrimi«-Serie »Hubert und Staller«, deren clowneskes Landpolizistenduo das Gewitzel überstrapaziert, erstaunt mit Drive und um die Ecke gedachten Pointen. Ihr Laisser-Faire grenzt an Arbeitsverweigerung: Diesen Gesetzeshütern möchte man nicht vertrauen.
Auch die Gemütsruhe der Bayern-Cops Kluftinger und Eberhofer hat etwas Provozierendes. Der Grübler Kluftinger, wunderbar von Herbert Knaup verkörpert, wird kontrastiert durch seinen übereifrigen badischen Assistenten, der gelegentlich das schöne alte Schimpfwort »Gelbfüßler« an den Kopf geworfen bekommt, und seinen besserwisserischen Nachbarn, der allen Trends hinterherhechelt und dem eigenbrötlerischen Kommissar schwer auf die Nerven geht. Diese beruhigt er in regelmäßigen Abständen mit einer Wurstsemmel. Optisch haben die Kluftinger-Krimis zwar lediglich Fernsehformat und die Kauzigkeit wirkt oft forciert. Doch die Handlung ist, auch dank der originellen Buchvorlagen, ausgearbeiteter und atmosphärischer, als man es von einem Fernsehkrimi erwartet.
Vermutlich kennen das Kluftinger-Autorenduo Michael Kobr und Völker Klüpfel und auch Eberhofer-Schöpferin Rita Falk ihren David Lynch und ihre Coens. Angesichts der detailgenau gezeichneten Dorfmentalitäten und der Würze mit einem Schuss magischem Realismus fühlt man sich an den lakonischen Witz von »Twin Peaks« und »Fargo« erinnert, an Achternbusch sowieso. Bei Polizist Franz Eberhofer, der sich selbst Dorfsheriff nennt und wegen Unbotmäßigkeit von München zurück in sein Heimatdorf versetzt wurde, kommt noch der Wilde Westen dazu. Mit dem fiktiven Niederkaltenkirchen betritt man endgültig jene Zone, in der »Sau« als Allzweckbegriff dient: je nach Betonung als Schimpfwort, Kosewort und Grundnahrungsmittel. Der Eberhofer Franz (Sebastian Bezzel) ist, ob mit oder ohne Kumpel Rudi (Simon Schwarz), dauernd am Essen, egal wie sehr es pressiert. Bei dem Mampfen von Wurstsalat, Schweinebraten und Leberkäs und dem Saufgelage zum Abschalten handelt es sich um ein rebellisches kulturelles Statement – und wird vom Publikum gerade deshalb goutiert. So laufen die auch im Kino gestarteten Eberhofer-Krimis meist unter dem Radar der Filmkritik, haben aber eine riesige, nicht nur bayerische Fanbasis, die sich verstanden fühlt und mit dem Gezeigten identifiziert. Es gibt nun mal eine Lebenswirklichkeit, deren Koordinaten die Wirtschaft, die Metzgerei, Beerdigungen, Hochzeiten und Omas Essen sind; nur wird sie in Spielfilmen oder etwa »Tatort«-Krimis meist als Alptraum vorgeführt.
In den Eberhofer-Krimis wird mit tristen Schauplätzen jeglicher Heimatkitsch vermieden, und dennoch wurden sie zu Wallfahrtszielen der Eberhofer-Anhänger. Denn der Film vermittelt mit seinen sanft anarchischen Protagonisten zugleich, dass die Abwesenheit eines urbanen Zeitgeistdrucks individuelle Freiräume schafft. In derben Dialogen wird nebenbei vermittelt, wie sich beim permanenten Anraunzen die Dorfmachos gegenseitig die Luft rauslassen.
Doch der beste Heimatfilmkommissar ist eine Kommissarin, Gisela Wegmeyer, gespielt von Johanna Bittenbinder. Sie entstammt wie Kluftinger und Eberhofer der 2007 begonnenen Heimatfilmreihe des Bayerischen Rundfunks, die, mit Sorgfalt für das dritte Programm produziert, aus der üblichen Fernsehware hervorsticht. Auch Giselas Biotop ist – in bisher zwei Krimis: »Sau Nummer 4« und »Paradies 505« – Niederbayern. Auch hier dienen Morde als Vehikel, um Menschen und Milieus zu porträtieren. Für burleske Momente sind ihre Hilfspolizisten und ihr alerter Straubinger Kollege mit seinem Pornoschnauzbart zuständig. Wenn die blonde Gisela, eine wuchtige, stille Frau, in einer Wirtshausschlägerei prügelnde Männer zur Ordnung ruft, wirkt sie wie Donnergott Thor, nur in weiblicher Version. Doch das Unheimliche in der Heimat wird auf abgründigere Weise als bei Kollege Eberhofer zutage gefördert. Das bayerische »Leben und leben lassen« hat hier mit einer tragikomischen Ansammlung kleinerer und größerer Sünden eine berückend melancholische Färbung, bis hin in den Soundtrack, einer modernen bayerischen Volksmusik. Am Ende singt das ganze Wirtshaus wie ein antiker Chor über Liebe und Tod. Eigentümlich statt heimattümelnd – so lässt man sich dieses als Krimi getarnte Heimatfilm-Comeback gern gefallen.
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