Kritik zu Sympathisanten – Unser Deutscher Herbst
Familiengeschichte als Gesellschaftsporträt: Dokumentarfilmer Felix Moeller erzählt unter anderem in Gesprächen mit seiner Mutter Margarethe von Trotta sowie seinem Stiefvater Volker Schlöndorff von einer aufgeladenen Epoche bundesrepublikanischer Geschichte
Es war ein Wort, das sich auf bizarre Weise in Politik, Medien und Öffentlichkeit der späten siebziger Jahre verbreitete: »Sympathisanten«. Damit waren nicht nur Menschen gemeint, die die RAF-Terroristen im Untergrund mit Geld, Waffen oder Dokumenten versorgten, sondern noch viel mehr die »geistigen Wegbereiter des Terrors« oder »medialen Vorbereiter«. Das ließ sich, im Gegensatz zu einem »Helfer« oder »Unterstützer«, geradezu nach Belieben ausdehnen, und es traf eine Reihe von Intellektuellen, die es wagten, zum Beispiel eine menschliche Behandlung der Gefangenen in Stuttgart-Stammheim zu fordern oder das Gespräch mit den »Verlorenen« zu suchen, aber auch solche, die sich kritisch zum Staat und seinen Maßnahmen äußerten. Unter ihnen so unterschiedliche Charaktere wie die Schriftsteller Heinrich Böll und Peter Schneider, die Theologen Helmut Gollwitzer und Heinrich Albertz, die Filmemacher Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff.
Es gibt wohl bis heute zwei Erzählungen zu diesem Phänomen. In der einen hat sich ein demokratischer Staat, die damalige BRD, von einer Handvoll Kämpfer im Untergrund dazu bringen lassen, Gesetze und demokratische Regeln zu brechen, um sich als »starker Staat« zu präsentieren, und eine sensationslüsterne Presse, einschließlich etlicher Scharfmacher in den öffentlich-rechtlichen Sendern, haben sich zu einer Mentalität von Hetzjagd und Denunziation verstiegen. »Sympathisant war eine Erfindung der Presse«, sagt René Böll. In dieser Erzählung werden die Toten des Jahres 1977 zu Opfern staatlicher Gewalt, direkt oder indirekt. In der anderen Erzählung haben die Terroristen aus dem Untergrund einen wenn auch überschaubaren Erfolg dabei verzeichnet, einen Teil der »liberalen Idioten« dazu zu verführen, sich für sie einzusetzen, während man bei seinen Mordtaten konsequent in Sprache und Verhalten zu dem Faschismus zurückkehrt, den man ursprünglich doch bekämpfen wollte. In dieser Erzählung ist auch der Tod nach dem Hungerstreik von Holger Meins nichts anderes als eine besonders drastische Form der Propaganda.
Nicht »in der Mitte«, aber in einer dialektischen Beziehung von beiden Erzählungen mag die Wahrheit liegen, die sich im Detail wohl nicht mehr aufdecken lassen wird. Beide Seiten, sagt Dany Cohn-Bendit einmal in diesem Film, seien »schlampig mit der Wahrheit umgegangen, sowohl die Sympathisanten als auch der Staat«, was vermutlich eine der größten Untertreibungen des vergangenen Jahrhunderts ist.
Felix Moeller ist als gelernter Historiker, Dokumentarfilmautor und -produzent, der seit 2003 eigene Dokumentationen über das Spannungsfeld von Film und Geschichte (darunter über die frühe Hildegard Knef, Veit Harlan oder die »Verbotenen Filme« der nationalsozialistischen Propaganda) dreht, sowie Sohn von Margarethe von Trotta und Stiefsohn von Volker Schlöndorff sozusagen dreifach prädestiniert, sich auf die Suche nach diesem Begriff zu begeben, der auch im Leben der Eltern und ihrer Freunde eine entscheidende Rolle spielte. Familiengeschichte und Sozialgeschichte überschneiden sich also immer wieder in dem Film, der aus Gesprächen, aus Zeitdokumenten und Filmausschnitten besteht, der aber auch eine sehr subtile Reisebewegung enthält.
Der Film beginnt mit einer Ansprache von Kanzler Helmut Schmidt, in der er von der notwendigen »moralischen Isolierung« der Terroristen und der »moralischen Ernüchterung auch der letzten Sympathisanten« spricht. Am Ende sehen wir noch einmal diesen Helmut Schmidt in einem Fernsehinterview, in dem er den Begriff »Sympathisanten« ablehnt, weil dieser viel zu »unscharf« sei. Eine Klammer für eine Vorstellung, die viel Unheil anrichtete, bevor sie in den politischen Protokollen und Pressearchiven versank. Dazwischen liegen Aussagen von Christoph Wackernagel und Karl-Heinz Dellwo, die in den Untergrund gegangen waren, von Dany Cohn-Bendit und Peter Schneider, die sich dem Terror verweigerten, von René Böll, der von den Anfeindungen erzählt, denen sein Vater ausgesetzt war, von Marius Müller-Westernhagen, der den deutschen Herbst als Schauspieler und Sänger begleitete. In historischen Aufnahmen begegnen wir Heinrich Böll, Willy Brandt, Franz Josef Strauß, Ausschnitte aus »Das zweite Erwachen der Christa Klages« bis zu »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« zeigen die Versuche des Neuen Deutschen Films, sich mit dem Klima der Gewalt und der Denunziation auseinanderzusetzen. Am Ende verschmilzt der Dokumentarfilm des Jahres 2017 zum Deutschen Herbst mit dem Gemeinschaftswerk von Kluge, Schlöndorff und Fassbinder aus dem Jahr 1977.
Mit dem einige Jahre inflationär verbreiteten Begriff der »Sympathisanten« und der staatlichen wie der publizistischen Behandlung all derer, die aus dem einen oder anderen Grund mit ihm belegt wurden, war zum ersten Mal eine radikale Bruchlinie in der deutschen Nachkriegsgesellschaft gezogen, und Oskar Negt wies wohl mit Recht darauf hin, welche Ausgrenzung damit beabsichtigt war: »Die Sympathisanten sind nicht die Unterstützer, die Sympathisanten sind wir alle«. Schließlich war die Stoßrichtung klar, es ging, zum Beispiel, in einem TV-Kommentar von Mathias Walden, gegen »die Verlage, die jahrelang revolutionäre Druckerzeugnisse veröffentlichten«, und im Bundestag verstieg man sich zu der Aussage, die Schuld der geistigen Sympathisanten sei sogar noch größer als die der Täter selbst. Marius Müller-Westernhagen meint heute, dass damals schon »zu reflektieren, was passiert«, ausreichte, um als Sympathisant zu gelten.
Aber trotz der Empörung, die es auslöste, dass »eine polizeistaatliche Lösung für eine Auseinandersetzung in der Zivilgesellschaft« gesucht wurde, war doch die Ernüchterung, von der Helmut Schmidt gesprochen hatte, unausweichlich, und insbesondere Peter Schneider merkt durchaus selbstkritisch an, dass man aus Angst, als »bürgerlich« und »feig« zu gelten, sich zu Gesten verleiten ließ, die man moralisch eigentlich nicht legitimieren konnte.
Man wird von einem Film mit diesem Thema keinen allzu ausgeprägten formalen cineastischen Ehrgeiz erwarten. Was ihn wohltuend von üblichen TV-Dokus unterscheidet, ist die Geduld, mit der er recherchiert und zuhört, der Verzicht auf besserwisserische Kommentare und zugleich die Offenheit der subjektiven Perspektive, der Mut, sich dem Widersprüchlichen zu stellen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt mehr verstanden habe«, konstatiert der Filmemacher, und nein, dessen können auch wir Zuschauerinnen und Zuschauer nicht sicher sein. Aber der Blick ist weiter und genauer geworden, das ist ein großes Verdienst.
Immer wieder blitzen Situationen und Statements auf, die direkt auf unsere Gegenwart zu verweisen scheinen. Nur zum Beispiel erklärte Volker Schlöndorff damals im französischen Fernsehen: »Es ist eine Gesellschaft, die in sich keine Widersprüche erträgt und die sich einen äußeren Feind erschaffen muss, eine Randfigur, damit man auf die all seine Angst, seinen Hass und seine Unzufriedenheit projizieren kann.« Das kommt uns, vierzig Jahre nach dem Deutschen Herbst, sehr bekannt vor.
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