Retrospektive: »Ihre Majestät die Liebe« (1931)
»Exotik«, »Geschichte« und »Alltag« lauten die drei Aspekte, unter die die Kuratoren die Filme der diesjährigen Retro einordnen. Exotik – beispielsweise das China und Indien aus »Opium« – oder »Geschichte« – beispielsweise der Weltkrieg aus »Die andere Seite« – passen nun gar nicht zu Joe Mays Tonfilmoperette »Ihre Majestät die Liebe«; bleibt also nur der Alltag. Und wenn wir »Der Himmel auf Erden« und »Abwege« hinzuziehen, dann muss der Alltag der Weimarer Republik in den Nachtclubs stattgefunden haben. Ganz exzessiv wird das in »Ihre Majestät die Liebe« gezeigt, wo der junge Fred von Wellingen die Nächte verbummelt, und wo die schöne Lia als Barmixer arbeitet. Die Männer hält sie sich locker vom Leib, vor allem die drei alten, dicken Herren,die um sie buhlen. Während der eine von seinen langen Erfahrungen schwatzt und die drei Kategorien Dame, Fräulein und Weib auseinanderdividiert, schiebt der andere nonchalant seinen Geldbeutel über den Tresen: »Ein kleiner Motor für junge Mädels, damit sie sich rascher erwärmen.« Lia schiebt ihm einen Fächer zu, zum Abkühlen alter Männer.
Fred ist angestellt in der Firma seiner Familie. Sein Bruder ist der große Boss. Er selbst arbeitet, hat Ideen, setzt sie um – hat aber keinen offiziellen Posten oder angemessenes Gehalt. Er würd's ja doch nur nächtens verplempern. Die Damen der Familie – Omas, Tanten, Kusinen – beim Kaffeeklatsch gehen direkt zur Generalversammlung über, bei Kaffee und Teilchen wird beschlossen: Fred muss heiraten, eine reiche Dame, die investieren will. Dann darf er sich Generaldirektor nennen und kriegt 10.000 Mark monatlich. (Weil ja die Dividende seiner 100.000 Aktien offenbar nicht ausreicht...) Fred nun hat ebenfalls mit Mia anzubandeln versucht, und jetzt ist er auch bereit, ihren Preis für einen Tanz zu bezahlen: die Ehe nämlich. Tango! Kuss! Liebe! Oder vielleicht doch nur Provokation für die Familie, Aufbau der Verteidungungsfront, Anhäufung von Verhandlungsmasse?
Lia, gespielt von einer starken, reizenden Käthe von Nagy, rennt ins Nebenzimmer, weint und lacht vor Glück, eine herzzerreißende Szene, wie sie ihre Herrn Papa aus dem Schlaf klingelt, weil die Freude ihr Herz sprengt! In einer einzigen, kleinen Szene gelingt es Joe May, die Fallhöhe für alles Künftige enorm hochzulegen. Denn ja, Fred mag sie. Aber er weiß auch, was ihm sein Bruder einredet: Das Wichtigste sind Geltung und Karriere. Und die bekommt er nur, wenn er von Lia lässt. Ein Barmädchen in der Familie von Wellingen, das geht nicht! Und als reiche Kapitalistenfamilie hat man die Macht über die Liebe. Oder?
Ein sehr, sehr lustiger Film ist das, sehr beschwingt, mit eingängigen Schlagersongs, deren frech-fröhlichen Texte die Handlung geschickt kommentieren. Mit großen Kleinigkeiten nebenbei – der Piccolokellner, der den Sekt mit Soda verdünnt; Adele Sandrock als Beißzangentante, die in ihren wenigen Auftritten das Augenmerk auf sich zieht. Oder Ralph Arthur Roberts als sechsfach geschiedener Baron, der seine Chance sieht, als Fred Lia fallenlässt. Besonders schön auch Paul Henckels als freundlich-jovialer Standesbeamter: »Na, jetzt war'n Se ja ne Weile nicht da!«, zum Herrn Baron, und: »Hoffentlich hält's diesmal länger!« Und Szenenapplaus gab es für die rhythmische Gymnastikstunde, wenn Freds Nichte und ihr Sportlehrer singen, tanzen, knutschen. Und später tänzerisch getaktet aus dem Film verschwinden, Flucht aus Liebe...
Sehr lustig, der Film. Und traurig, aber dafür kann der Film nichts. Otto Wallburg – in der wichtigen Rolle von Freds Bruder – oder Kurt Gerron, einer der Herren im Nachtlokal: Beide wurden im Oktober 1944 in Ausschwitz vergast.
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