Retrospektive: »Das blaue Licht« (1932)
Sagenhaft, diese Berglegende aus den Dolomiten. Wo im »Kampf ums Matterhorn« der Berg von außen bezwungen werden muss, will er in »Das blaue Licht« von innen verstanden werden. Ein Gemeinschaftswerk von Leni Riefenstahl, Regie, Béla Balàzs, Buch, und Hans Schneeberger, Kamera: Ein Gedicht der Bergwelt, mit unglaublichen Bildern. Ein Tal, beherrscht vom majestätischen Wasserfall, ein kleines Bauerndorf. Ein massiver Bergblock. Ein Fluch. Seit einem Felsrutsch, immer bei Vollmond, dieses blaue Licht an der Felswand, der die Burschen in den Bann zieht, verzaubert klettern sie hoch und stürzen tief... Ein mystischer Märchenstoff, erzählt als Legende, in unfassbaren Bildern. Das Glitzern der Bergkristalle, die Tiefenstaffelungen, die Schrägen, die Panoramen, das übernatürliche Waldlicht...
Leni Riefenstahl ist ganz offensichtlich die große Stilistin des Films, ja: Überstilistin – hier, in ihrem Debütfilm, ist das wunderbar passend. Man lässt sich hineinfallen in diesen Bergmythos, in dem Riefenstahl ein Lumpenmädchen spielt, Junta, in verknapptem Italienisch redend, wie ohnehin alle eher schweigsam sind. Viele Gesichter haben die Filmemacher im Tessin und in den Dolomiten gefunden, wo der Film gedreht wurde, knorrige Bauern, die in eindrucksvollen Großaufnahmen zu sehen sind. Junta gilt als Hexe, sie wohnt außerhalb, sie findet Kristalle, und sie kann den Berg, den Monte Christallo, erklettern. Eine wilde Jagd hebt an, als wieder einer der Burschen den Tod findet, angezogen vom blauen Licht. Die Alte am Spinnrad rennt auch mit! Und einer stellt sich in den Weg, der Tourist von außen: Mathias Wiemann. Der ist Maler, empfindsame Natur, will alles verstehen und versteht nichts. Wiemann: Die Älteren unter uns werden sich erinnern, in der Kindheit, da war er der Sprecher auf der »Peter und der Wolf«-Schallplatte... Er hat diesen seltsamen Sprachduktus drauf, immer bedeutsam, immer über-sensibel, das ist unfreiwillig komisch, vor allem hier, wo die Dialoge aufs Minimum reduziert sind: »Hier ist es schön! Hier will ich bleiben!«, muss man sich mit Pathos vorstellen; oder: »Junta, du kleine Steinhexe, was treib ich hier oben für einen Unsinn...« Denn natürlich verfällt er ihr, folgt ihr in die Idylle, in die Pastorale der Alm, wo sie mit einem Hirtenjungen lebt. Sie, das Naturkind, nährt Wiemann mit frischer Milch. Und natürlich ergründet er beim nächsten Vollmond das Geheimnis des Berges, diese fantastische Kristallhöhle, vor der Junta anbetend kniet...
Wiemann ist das, was man unter »War halt damals so« abhaken muss; ziemlich überhoben – aber der Rest des Films: Grandios. Gerade weil er überhoben ist, hineinragt ins ewig Mythische. Das Kristalllager wird ausgebeutet, das Dorf wird reich; doch für Junta bleibt nichts mehr. Am Ende eine Gestalt in Hut und Cape, die durch den Nebelwald schreitet – Wiemann bringt den Untergang, ohne es zu ahnen.
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