Kritik zu Freiheit

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Inspiriert von Henrik Ibsens Dramaheldin Nora erzählt Jan Speckenbach von einer Frau, die aus bürgerlichen Verhältnissen ausbrechen will – und von ihrem Mann, der mit den Kindern zurückbleibt

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Eine Frau lässt sich treiben. Seit sie ihren Mann und ihre Kinder verlassen hat, lebt Nora (Johanna Wokalek) ganz im Augenblick. Im Museum trennt sie sich von der Gruppe, der sie sich angeschlossen hatte. Im Bus bleibt sie einfach sitzen, bis der seine Endstation erreicht hat. Als sie ein junger Mann an der Kasse im Supermarkt anspricht, geht sie mit und schläft mit ihm. Als er danach in ihrer Tasche herumschnüffelt und ihr vorwirft, dass sie ihm einen falschen Namen gesagt habe, verschwindet Nora wortlos aus der fremden Wohnung.

Ein Mann sitzt fest. Seit er und die beiden Kinder von Nora verlassen wurden, dreht sich Philips (Hans-Jochen Wagner) Leben im Kreis. Der Anwalt kommt nicht mehr von der Stelle. Sein kleiner Sohn Jonas schottet sich ab, und mit seiner pubertierenden Tochter Lena streitet er praktisch nur noch. Alles scheint ihm zu entgleiten, die Familie ebenso wie sein Job, der ihn gerade mit einem besonders frustrierenden Fall konfrontiert. Selbst die Affäre mit seiner Arbeitskollegin Monika ist eher Last als Erlösung. Nur wenn er das im Koma liegende Opfer seines neuesten Mandanten im Krankenhaus besucht, findet Philip etwas Ruhe. Dem Fremden, der nicht antworten kann, scheint er alles sagen zu können. Nora, der Name weckt Erinnerungen an Henrik Ibsens Drama einer Frau, die ihrem Leben entfliehen will. Jan Speckenbach spielt in »Freiheit« virtuos mit Motiven dieses bürgerlichen Klassikers. Dabei denkt er, wie einst schon Elfriede Jelinek, die ihr erstes Theaterstück »Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hat oder Stützen der Gesellschaften« genannt hat, Ibsens Ideen weiter.

Allerdings gilt sein Blick nicht nur Nora. Dem allein mit den Kindern zurückgebliebenen Mann begegnet er mit der gleichen Offenheit. Die beiden Handlungsstränge, zwischen denen Speckenbach immer wieder hin und her wechselt, sind fast spiegelbildlich angelegt. Während sich Nora ihrer selbst vor allem über ihren Körper versichert, scheint sich Hans-Jochen Wagners Philip in Worte zu flüchten. Nur verwehren auch diese sich ihm. So bleibt ihm nur betretenes Schweigen, das nichts Befreiendes hat.

Auch visuell spiegeln sich Noras und Philips Geschichten. Während sie durch weite Landschaften zieht – ihr Weg führt von Wien nach Bratislava –, scheint er in Berliner Innenräumen gefangen zu sein. Nora mag den Fesseln ihres Berliner Lebens entkommen sein. Aber so etwas wie ein Ziel offenbart sich ihr nicht. Letztlich geht es ihr wie Philip. Auch sie findet statt sich selbst nur eine große Leere, die ebenso erdrückend ist wie die Enge, die Philip mehr und mehr empfindet.

»Freiheit« hat zwar nicht den wütend kämpferischen Gestus von Elfriede Jelineks Vision, in der Noras Scheitern vor allen ökonomische Gründe hat. Aber auch Speckenbach erzählt auf sehr subtile Weise von der Macht des Geldes. Den Luxus der Flucht kann sich längst nicht jeder leisten, und gerade das macht Nora noch einsamer. So wie sie ihren Erinnerungen nicht entfliehen kann, bleibt sie auch im osteuropäischen Prekariat, bei dem sie Unterschlupf sucht, eine Fremde.

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