Festival Ludwigshafen – Goldener Herbst
»Der lange Sommer der Theorie« (2017). © Filmgalerie 451
Um der Überschwemmungsgefahr zu entgehen, wurde das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen auf einen späteren Termin im Jahr verschoben – und bot ein sehenswertes Programm
Wer in den Wochen nach dem Festival das Fernsehprogramm im Blick behielt, konnte fast den Eindruck gewinnen, Ludwigshafen sei die öffentlich-rechtliche Vorschauplattform, so viele der Filme wurden unmittelbar nach ihrer Festivalaufführung ausgestrahlt. Und es waren nicht die schlechtesten, beispielsweise Dietrich Brüggemanns »Tatort: Stau«, der einen kurzen Stuttgarter Straßenabschnitt zum Schauplatz eines Kammerspiels unter freiem Himmel macht, oder, noch ein Tatort, Goldbach mit dem neuen Ermittlerteam Eva Löbau und Hans-Jochen Wagner. Auch Heinz Strunks skurrile Partnersuche »Jürgen – Heute wird gelebt« oder das Drama »Das Leben danach« über die Traumata von Überlebenden der Love-Parade-Katastrophe 2010 liefen in Ludwigshafen.
Zwar wurden bei der 13. Auflage des Festivals weniger Premieren gezeigt und Wettbewerb und Nebenreihe mischten erneut scheinbar beliebig Kino und Fernsehen, sehr Konventionelles und künstlerisch Gewagtes. Aber: Die Zahl der bemerkenswerten Filme war insgesamt höher als in den vergangenen Jahren und wurde durchaus dem Anspruch gerecht, eine Art »Best of« des deutschen Filmjahres zu liefern.
So ließ sich verschmerzen, dass die Verlegung vom Juni und Juli auf Ende August, Anfang September zwar wie gewünscht die Überschwemmungsgefahr bannte, die das Festival besonders 2016 in Atem gehalten hatte, jedoch für sehr herbstliche Temperaturen in den Kinozelten und beim geselligen Drumherum auf der Parkinsel sorgte. Zwar sind nun etwa 10.000 Besucher weniger gekommen als im Vorjahr, doch bei einer Gesamtzahl von immer noch über 100.000 sollte das zu verschmerzen sein. Zumal die Atmosphäre des Festivals an diesem besonderen Ort doch bisweilen stärker unter den Besuchermassen leidet als unter dem Wetter. Und müssen wirklich alle Festivals dem stetigen Wachstum hinterherhecheln?
Dieser zumindest in filmischer Hinsicht goldene Herbst bot den Besuchern so Eigenwilliges wie die zwei munteren, selbstreflexiv verspielten Politpossen »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« von Julian Radlmaier und Irene von Albertis »Der lange Sommer der Theorie« (Kinostart: November), in dem drei junge Frauen in Berlin – prekäre Existenzen – sich Fragen nach dem »richtigen Leben« und der Revolution stellen. Unvergessliche Szene: Katja Weilandt steht in einem (echten) Demonstrationszug und lässt sich mit fragendem Gesichtsausdruck vom Strom rechter Wutbürger umspülen.
Wie sich in diesem Spielfilm zahlreiche dokumentarische Elemente finden, so zeichnete eine dokumentarisch anmutende, manchmal von Improvisation geprägte Haltung so manchen Spielfilm des Programms aus, etwa die Ex-aequo-Gewinner des Filmkunstpreises: Western und Casting. In Western, zu Recht bereits in Cannes gefeiert, erzählt Valeska Grisebach mit famosen Laiendarstellern eine Geschichte von deutschen Bauarbeitern in Bulgarien, von Fremdheit und Annäherung, Landschaft und Einsamkeit, und geht dabei so natürlich und profund mit klassischen Westernmotiven um, als habe sie nie etwas anderes getan – ein Meisterwerk. Casting von Nicolas Wackerbarth, weitgehend aus Improvisationen der Schauspieler entstanden, blickt so humorvoll wie schmerzhaft auf einen Besetzungsprozess für einen Fernsehfilm und sagt dabei ebenso viel über Allgemeinmenschliches wie über die Branche.
Zahlreiche weitere Höhepunkte im Programm waren klassische Dokumentarfilme: Passend für ein Festival des deutschen Films gab es kluge Betrachtungen zur weiter zurückliegenden (Hitlers Hollywood von Rüdiger Suchsland) und nicht ganz so weit zurückliegenden (Offene Wunde deutscher Film von Dominik Graf) deutschen Filmgeschichte. Joakim Demmer gelang mit Das grüne Gold eine erschütternde Recherche über die Folgen des Investment-Hypes um Ackerland am Beispiel Äthiopien. Und Romuald Karmakars »Denk ich an Deutschland in der Nacht« über Techno-Musiker wie auch Corinna Belz’ »Peter Handke – Bin im Wald. kann sein, dass ich mich verspäte« konnten dank ihrer filmischen Meisterschaft auch Zuschauer inspirieren, die keine genuinen Techno- oder Handke-Fans sind.
Von sehr feiner, eigener Poesie war »Luft« von Anatol Schuster, ein Debüt-Spielfilm über das Erwachsenwerden, über Liebe und die Schönheit des Augenblicks, ein Film, der sich mit frappierendem Selbstvertrauen ganz auf seine eigene Stimme verlässt und wunderbar zur Atmosphäre der Parkinsel passte.
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