Kein Glückversprechen, aber literaturfähig
In einem Interview zu »Happy End« wurde Michael Haneke unlängst gefragt, was ihm die liebste Phase im Prozess des Filmemachens sei. Das Schreiben mache ihm am meisten Spaß, erwiderte er, und am Schluss die Mischung. Die Antwort muss allenfalls zur Hälfte überraschen, ebenso wenig wie seine Aussage, die Vorbereitung sei die Hölle und das Drehen anstrengend, weil es nie so läuft, wie man es sich gewünscht hat.
Diese Präferenz lässt sich insofern nachvollziehen, als Buch und Mischung die zwei Etappen sind, in denen der Filmemacher die größte Kontrolle über die Welt ausüben kann, die er auf die Leinwand bringen will. Am Anfang setzt ihm nur die eigene Phantasie (und, wenn er ein verantwortungsvoller Mensch ist, der Gedanke ans Budget) Grenzen; im letzten Arbeitsgang kann er nachbessern, was nicht so gut lief und neue, akustische Bedeutungsebenen hinzufügen. Haneke ist nicht der einzige Regisseur, der die Unwägbarkeiten des Drehs als notwendigen, tendenziell verdrießlichen Teil seiner Arbeit betrachtet. Jean-Pierre Melville behauptete, ihn interessierten nur Drehbuch und Schnitt, Hitchcock vertrat gar die Ansicht, ein Film sei praktisch fertig, wenn Buch und Besetzung stimmten. Man muss ihnen nicht glauben. Auch auf dem Set kann man schließlich Gott spielen.
Sympathisch ist mir an Hanekes Antwort nicht zuletzt der Rang, den er der Tonspur zumisst. Seit dem Jahr 2000, seit »Code: Unbekannt«, arbeitet er mit Guillaume Sciama zusammen, einem der großen Tonkünstler des französischen Kinos. Sciama ist seit mehr als 40 Jahren in dem Geschäft, war der ständige Toningenieur von Patrice Chéreau und hat mit Ozon, Leconte sowie Tavernier gearbeitet. Ich würde ihn gern einmal porträtieren. Dabei würde mich brennend interessieren, wie es einem Franzosen gelingen konnte, die protestantische Stille eines norddeutschen Pfarrhauses so präzise einzufangen, wie er es bei »Das weiße Band« getan hat.
Aber heute lasse ich es beim ersten Arbeitsschritt bewenden. Haneke ist einer von ganz wenigen Filmemacher, deren Szenarien heutzutage noch in Buchform erscheinen. Solche Veröffentlichungen scheinen obsolet in Zeiten, wo fast jeder Film kurze Zeit nach seinem Kinostart für den Hausgebrauch erworben werden kann. Die Ausnahme bestätigt nicht nur Hanekes Ansehen als Autorenfilmer, der stets sein eigener Szenarist ist; sofern ihm nicht Jean-Claude Carrière, wie im Fall von »Das weiße Band«, dabei hilft, Haneke zu sein. Wenn seine Drehbücher in den Rang von Literatur erhoben werden, zeigt dies auch, wie selbstverständlich ihr Autor längst der Hochkultur zugeschlagen wird. Der Verlag nennt ihn den großen Erzähler unter den Regisseuren. Diese Beschreibung verblüfft mich: Zeichnet es ihn nicht eher aus, das Gegenteil davon zu sein?
Es hat nicht nur ökonomische Gründe, weshalb der deutsche Buchmarkt wenig Interesse an Filmszenarien nimmt. Ihre Form stellt für die meisten Leser generell schon eine abschreckende Hürde dar. Sie lädt nicht ein. Auf den Seiten sind nur wenige, karge Sätze zu lesen. Um sie herum ist viel leerer Raum. Der Blick des Lesers wird in die Vertikale gelenkt, während der des Kinogängers doch eher die Horizontale sucht. Um auf dem Buchmarkt bestehen zu können, muss dies Skelett mit Fleisch versehen werden. Das Layout muss sich an tradierte Lesegewohnheiten anpassen; selbst in einem Land, in dem komplette Schülergenerationen mit der Lektüre von Dramen- oder Hörspieltexten aus Reclams Universaledition aufgewachsen sind.
Drehbücher besitzen ein eigenes, technisches Vokabular, das der Literatur fremd ist. Ihre Aufgabe besteht darin, zu animieren, zu verlocken, Neugierde und Schaulust zu wecken. Sie wollen Zukünftiges heraufbeschwören. Es braucht verlegerischen Mut, dies einem Leser zu vermitteln, der mit vollem Recht das Gegenwärtige sucht. Ein zuverlässiger Köder ist allerdings die Berühmtheit der Autoren. Das erklärt, weshalb bei uns früher mal Szenarien von Bergman, Fellini, Handke und Woody Allen veröffentlicht wurden. Oft war das ein Etikettenschwindel, denn man bekam nicht die Blaupausen des Films zu lesen, sondern eine literarische Version, etwa als "Filmerzählung" an. Und kaum je wurde die letzte Arbeitsfassung veröffentlicht, sondern ein Filmprotokoll. Der "andere" Film, der es vielleicht hätte werden können, wird selten sichtbar.
Das darf man auch von »Happy End« nicht erwarten: Haneke ist kein Autor offener, vibrierender Grundrisse. Sein Schreiben gewährt nicht. Es ist visuell, evoziert Bilder, gibt Blickrichtungen und Toneffekte vor, rechnet die Figuren scharf aus. Unvorstellbar, dass ein Anderer das verfilmen könnte. Mithin ist der bei Zsolnay erschienene Band eine bezeichnende Bereicherung des kaum mehr überschaubaren Feldes an Haneke-Literatur aus den letzten Jahren. Die strenge Form wird durch zahlreiche Szenenfotos aufgelockert; auf vier Seiten sind Storyboards und annotierte Passagen aus dem Originalmanuskript abgedruckt, was ein schöner Einblick in die Werkstatt gerade dieses Regisseurs ist. Natürlich handelt es sich um die deutsche Fassung des französisch gedrehten Films, jedoch mit ein paar heimischen Einsprengseln aus dem Munde der Trintignant-Figur. Haneke benutzt noch den altmodischen Terminus "Bild" statt "Szene".
Die Vorführung, die ich besuchte, liegt zu lange zurück, als dass ich einen genauen Vergleich anstellen könnte zwischen Plan und Ausführung. Das Buch ahnt jedenfalls den Film voraus, den ich erinnere. Ist das ein Vorzug? Oft ging mir der Vorbehalt eines Pariser Kollegen durch den Kopf, den die "construction théorique" (ist schwer zu übersetzen und benennt ein generelles Problem) bei Haneke stört. Es ist eine nüchterne Lektüre, die zu Wachsamkeit anhält. Ich musste häufiger lachen als im Kino, etwa bei der Beschreibung des Friseurs, der Trintignant die Haare schneidet: "Er ist gut gelaunt und sehr schwul." Und da lobt Ferdinand von Schirach in seinem Nachwort das "Fehlen aller Klischees" bei Haneke. Immerhin darf man dem Film zugutehalten, dass Dominique Besnehards vergnügliche Darstellung das "sehr" ausradiert.
Es ist triftig, dass das Nachwort von einem Juristen stammt. Nicht nur, weil ein Verbrechen gestanden wird (aus ethischen Erwägungen begangen) und die Kamera einige Geschehnisse protokolliert, die gerichtlicher Klärung bedürfen. Diese Perspektive trifft den Kern von Hanekes Kino, der eine Welt der Angeklagten auf die Leinwand bringt, über die der Zuschauer ein Urteil fällen soll. Von Schirach ist Strafverteidiger und ein Erzähler, den das Problem der Schuld umtreibt. Er hält ein kulturgesättigtes Plädoyer für den Regisseur. Dessen Kompromisslosigkeit habe ihn aufgerichtet, wenn er aufgeben wollte. Eine solche Kraft des Zuspruchs werden bisher wohl nicht viele Kinogänger gespürt haben.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns