Filmfestival von Venedig: Weiße Privilegien
»Suburbicon« (2017). © Concorde Filmverleih
Hollywood-Star George Clooney stellt in Venedig seine sechste Regiearbeit »Suburbicon« vor: eine blutige und böse Satire auf das Saubermann-Image der amerikanischen Vorstädte
Entgegen seinem Traumfabrik-Image kann das Kino manchmal auch geradezu unheimlich aktuell sein: Gerade erst ein paar Wochen ist es her, dass die Bilder aus Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia um die Welt gingen – Bilder, die junge, weiße Männern unter anderem mit Nazi-Parolen auf den Lippen und Südstaatenflaggen in den Händen zeigten. Das charakteristische blaue Schragenkreuz auf rotem Grund hat auch einen prominenten Auftritt in »Suburbicon«, dem neuen Film von George Clooney, den er auf dem 74. Filmfestival in Venedig vorstellte. Ein weißer Vorstadtbewohner platziert es mit Triumphgeste im zerschlagenen Fenster seines schwarzen Nachbarn. Clooneys Film spielt in den späten 50er Jahren und zitiert mit dieser Szene eine reale Begebenheit von damals. Wie nah er den Geschehnissen von 2017 damit kommen würde, konnte Clooney bei den Dreharbeiten noch nicht wissen.
Die Aktualität von »Suburbicon« überrascht nicht nur, weil der Film in einer Zeit vor 70 Jahren spielt, deren Vorurteile man heute überwunden glaubt. Sondern auch weil das zugrundeliegende Drehbuch der Brüder Joel und Ethan Coen schon viele Jahre alt ist. Clooney erzählte auf der Pressekonferenz am Lido, dass ihn der Präsidentschaftswahlkampf 2016 darauf gebracht habe, nach historischen Vorbildern für das Minderheiten-Bashing und Rufe nach dem Mauerbau zu forschen.
Er sei dabei auf die Geschichte einer schwarzen Familie gestoßen, die in eine weiße Vorstadt zog und dort wochenlang von den Nachbarn belästigt und bedrängt wurde. Das Vorstadt-Setting ließ ihn an das unverfilmte Coen-Drehbuch aus den 80er Jahren denken, und zusammen mit seinem langjährigen Mitstreiter Grant Heslov brachte er die beiden Dinge in einem neuen Drehbuch zusammen.
Tatsächlich passt »Suburbicon« mit seinem historischen Setting so gut in die aktuellen Diskussionen, dass einem als Zuschauer fast ungemütlich wird. Schließlich ist das 50er-Jahre-Eisenhower-Amerika genau das Amerika, das Präsident Trump »wieder groß machen« will. Schon die ersten Bilder, die eine Art Werbeprospekt für eine Vorstadt namens »Suburbicon« darstellen, entlarven die qualvolle geistige Beschränktheit: Familien aus allen Ecken des Landes lebten hier in Harmonie, heißt es aus dem Off, während die Aufnahmen die immer gleichen Konstellationen aus braven Hausfrauen, ordentlich gekämmten Kindern und Krawatten tragenden Vätern zeigen, natürlich alle von weißer Hautfarbe.
Als dem freundlichen Postboten an einer Tür eines Tages eine schwarze Frau aufmacht, hält er sie ebenso natürlich für die Haushaltshilfe. Alsbald formieren sich die Nachbarn zum Protest: Man befürchtet fallende Immobilienpreise und höhere Kriminalität. Frei nach dem Motto: Wir sind keine Rassisten, aber können die Schwarzen nicht auch unter sich bleiben?
Wo sonst die brave Vorstadt in ihrer Aufgeräumtheit satirisch entlarvt wird, ist es bei Clooney also die bereits rassistisch wütende Gemeinde, die dem wahren Verbrechen ein perfektes Versteck liefert. Denn während vor dem Haus der einen schwarzen Familie die Bürger toben, ereignen sich auf dem Nachbargrundstück die schrecklichsten Dinge. Dort werden Mütter für den Profit der Lebensversicherung um die Ecke gebracht, Kriminelle liefern sich Messerstechereien und eben noch harmlose Tanten verarbeiten mit dem Nudelholz Tabletten zum Giftpulver, um es in Milch aufzulösen und kleine Kinder zum Schweigen zu bringen.
Matt Damon spielt den nur äußerlich harmlosen Nachbarn, dem im typischen sarkastischen Ton der Coen-Brüder-Filme der Versicherungsbetrug gründlich misslingt. Julianne Moore gibt in einer Doppelrolle sowohl dessen Ehefrau als auch deren Schwester. So perfekt sie die emotionale Verschlossenheit ihrer 50er-Jahre-Charaktere auf den Punkt bringen: Die Fabel vom Verbrechen, bei dem mehr und mehr schief geht, würde abgestanden wirken, gäbe es da nicht die Rahmengeschichte.
Erst diese macht aus Matt Damons Figur, der mit blutbeschmiertem Hemd völlig unbehelligt in einer Nachbarschaft herumradelt, die alle Schuld den Schwarzen gibt, eine Inkarnation der »weißen Privilegien«, für deren Wiederherstellung Trump sich in den Augen seiner Anhänger einsetzt. George Clooney sprach von einer dunklen Wolke, die gerade über den USA hänge. Er sei Optimist, aber er müsse feststellen, dass es gegenwärtig viel Menschen sehr, sehr wütend seien.
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