Interview mit Luc Besson über seinen Film »Valerian«
Luc Besson am Set von »Valerian – Die Stadt der tausend Planeten« (2017). © Universum Film
Monsieur Besson, erinnern Sie Sich noch, wie Sie als Junge die Vorlage zu Ihrem Film »Valerian« entdeckten?
Oh ja! Einmal die Woche erschien das Comicmagazin »Pilote«, das ich einige Male mit meinem Vater las und mir dann jeden Mittwoch kaufte. Eines Tages erschien darin die erste Folge von »Valerian«. Das entwickelte sich bei mir zu einem Ritual: ich kaufte das Heft auf dem Rückweg von der Schule, machte meine Hausaufgaben, räumte den Tisch leer und las es dann. Das war ein ganz besonderer Moment – die einzige Pforte, durch die man der Realität entkommen konnte – ein Raumschiff, Aliens, ein Junge und ein Mädchen.
Das war frustrierend, jedes Mal eine Woche zu warten?
Frustrierend, aber auch ein Vergnügen. Ich habe damals gelernt, mit dieser Spannung umzugehen. So wollte ich später auch nie wissen, ob mein Kind ein Junge oder ein Mädchen wird - nach neun Monaten habe ich mich davon überraschen lassen.
Was speziell hatte »Valerian«, was andere Comics nicht hatten?
Das Mädchen! Sie ist klug und stark. Das ist vielleicht der Hauptunterschied zu den Marvel-Comics aus der Zeit: da ging es viel ums Kämpfen – in »Valerian« dagegen ging es viel mehr um die Gesellschaft, um Sklaverei und die condition humaine. Der Autor war nicht mehr so jung wie seine Kollegen, er schrieb zwar auch für die Fans, aber es ging eben auch um reale Probleme.
Wann haben Sie zum ersten Mal die Möglichkeit einer Verfilmung erwogen?
Das war sehr viel später, erst als ich »Das fünfte Element« drehte. Da kam der Produktionsdesigner auf mich zu und fragte, »Warum drehst Du nicht lieber ‚Valerian’? Du scheinst doch offenbar diesen Comic zu lieben!« Daran hatte ich bis dahin nie gedacht, »Valerian« war einfach ein Teil meiner Kindheit. Damals antwortete ich, »Das ist unmöglich, ich habe es vor Kurzem wieder gelesen, es gibt praktisch nur zwei Figuren darin, der Rest sind Aliens.« Technisch wäre das vor zwanzig Jahren nicht machbar gewesen. Ich dachte jedoch im Lauf der nächsten Jahre darüber immer wieder nach und sagte mir: wir sollten zumindest ausprobieren, was machbar ist. Einige Jahre später kam »Avatar« in die Kinos, das änderte alles, es zeigte, was möglich war - dass es eigentlich keine Grenzen mehr gibt. Die einzige Begrenzung ist die eigene Vorstellungskraft.
Sie erwähnten, dass es in der Vorlage praktisch nur zwei menschliche Charaktere gibt, der Rest sind Aliens. Da haben Sie für den Film Änderungen vorgenommen.
Ja – man kann einen Comic in zwanzig Minuten lesen, der Film erzählt seine Geschichte in zwei Stunden. Ich kann die Vorlage nicht einfach aufblasen, vielmehr habe ich eine Geschichte als Ausgangsbasis genommen und Elemente aus anderen der Comics hinzugefügt.
Schon Ihr Film »Adèle H.« basierte auf einem Comic. Hat Ihnen die damalige Adaptation etwas genützt für »Valerian«? Gibt es bei der Adaptation einer graphic novel andere Regeln als bei der Adaption eines Romans?
Das waren schon zwei unterschiedliche Erfahrungen, aber man hat in jedem Fall eine Ausgangsbasis, während ein Originalstoff wie »Das fünfte Element« das Beginnen beim Nullpunkt bedeutet. Bei »Adèle H.« hatte ich die Kostüme und die Ausstattung und die Zeit: 1910. Über diese Zeit kann man sich aus vielen Büchern informieren, zudem stehen ja die meisten der dort gezeigten Bauwerke noch. Ich konnte also zum Gare de L’Ouest gehen und ihn mir anschauen. »Valerian« spielt im 25. Jahrhundert, da geht das nicht. Eine Raumstation, die 12 Kilometer lang ist, existiert (noch) nicht. Als wir Alpha Station entwarfen, einen Ort, wo tausende von Aliens zusammenleben, nahm ich mir drei junge Autoren und wir schrieben die gesamte Geschichte der Alpha Station von 1975 (dem Jahr, als ich den Amerikanern die ersten Entwürfe präsentierte) bis zum Jahr 2700 – in Form eines Geschichtsbuches, das sechzig Seiten hatte. Das sehen Sie nicht im Film, aber es half uns beim Entwurf der Alpha Station.
Bei einigen der Aliens in »Valerian« dachte ich mir, sie hätten auch gut in »Das fünfte Element« gepasst. Würden Sie sagen, dass es damals schon Einflüsse von »Valerian« gab?
Möglicherweise, aber Aliens spielten damals nicht dieselbe große Rolle wie hier. Es gab damals auch nur 188 Einstellungen mit Spezialeffekten, in »Valerian« dagegen gibt 2744!
Sie haben den technologischen Durchbruch von »Avatar« erwähnt, Gab es dennoch Sachen in der Vorlage, die mit heutigen Mitteln noch nicht umsetzbar waren?
Nein, nichts, es gibt heute keine Begrenzungen mehr, man kann die verrückteste Idee haben und die Techniker sagen: »Kein Problem!«
Im Hinblick auf die Größe dieses Projektes: wie wichtig war es, dass Sie Ihr eigenes Studio hatten, um es dort drehen zu können?
Ja, wir konnten den Film komplett in dem Studio drehen, das ich vor fünf Jahren bei Paris errichtet habe. Wir waren sogar vier Tage vor dem Drehplan fertig, was bei Filmen dieser Größe wohl selten ist. Entscheidend dafür war die gute Vorbereitung aller Beteiligten und dass im Studio alles auf kürzestem Weg zu erreichen ist. Wenn ich das mit Pinewood vergleiche, wo ich »Das fünfte Element« drehte: da benötigt man zuerst einmal anderthalb Stunden, um von London mit dem Auto dorthin zu gelangen. In Paris brauche ich nur zwanzig Minuten, es gibt sogar eine U-Bahn-Verbindung. Pinewood ist zudem sehr weitläufig - da brauche ich schon zehn Minuten, um in die Kantine zu gelangen.
Bei der Postproduktion dagegen habe Sie mit sehr vielen verschiedenen Firmen zusammengearbeitet, die über die ganze Welt verstreut sind.
Wir sind zu den Größten gegangen; WETA, ILM – der Film war zu groß, keine von ihnen konnte ihn alleine stemmen, so mussten sie das aufteilen. Dem stimmten sie zu, übrigens zum ersten Mal. Sie stehen in einem Wettbewerb miteinander, aber sie sind keine Feinde. Der Film profitiert davon.
Hat sich Ihr Blick auf die Vorlage in all den Jahren verändert? Haben Sie jetzt Sachen entdeckt, die Ihnen als Kind entgangen sind?
Nein, es gibt ja insgesamt 29 Alben, im nächsten Jahr feiert die Serie ihren 50. Geburtstag, Ich lese sie fortwährend, so mag sich meine Auffassung durchaus mehrfach geändert haben im Lauf der Jahre, aber jetzt sehe ich sie irgendwie als zu meiner Familie gehörig. Wenn ich den Schauspielern Anweisungen gebe, kann ich sagen »Nein, das passt nicht zu dieser Figur« - so gut kenne ich sie. Das war eine große Freude für mich, Dane und Cara im Kostüm am Schauplatz zu sehen und zu den Figuren sprechen zu können.
Sie erwähnten die Wichtigkeit der guten Vorbereitung. Betrifft das auch die Arbeit mit den Schauspielern, Proben in den Kostümen, am Set?
Mit den Kostümen haben wir sehr früh begonnen, denn ich wollte, dass sie wirklich tadellos sind. Die Arbeit mit den Schauspielern begann vier Monate vor Drehbeginn. Bei Cara ging es vor allem darum, ihren Londoner Akzent loszuwerden, Dane war wie ein eine Krabbe, als ich ihn traf, er hat dann zwei Stunden jeden Tag seine Muskeln aufgebaut.
Im Film wird einmal die Zahl »6 Millionen« erwähnt, als es um die Auslöschung der Bewohner eines fremden Planeten geht, Das ist eine Zahl mit historischer Bedeutung, kommt sie in der Vorlage vor?
Diese Zahl nicht, die kommt in der Tat aus der Geschichte. Ich möchte nicht den Zeigefinger erheben, aber wenn ein Junge nach dem Film zu seinem Vater sagt, »Unglaublich, sie haben sechs Millionen Aliens auf diesem Planeten getötet!«, dann eröffnet das eine Möglichkeit, über die Geschichte zu reden. Im Film ist es ein Unfall, aber die Verantwortlichen weigern sich, irgendeine Verantwortung dafür zu übernehmen. Kommt Ihnen das bekannt vor?
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