Was kommt nach dem Funding? Hoffentlich die Crowd
Bis zum letzten Montag waren rund 3900 Euro zusammengekommen. Der Kontostand lag heute um 15 Uhr bei 4566,90. Das ist etwas mehr als die Hälfte des Betrags, den die Traumathek nach eigenen Angaben an Spenden einnehmen muss, um ihr Überleben zu sichern. Die veranschlagte Summe scheint mir gering. Zugleich frage ich mich, wie es wohl zu den 90 Cent hinter dem Komma kam.
Die Traumathek in Köln gehört zu den legendären Programmvideotheken Deutschlands, neben der Video-City in Frankfurt sowie dem Videodrom, der Filmgalerie und dem seligen Negativland in Berlin. Sie eröffnete später als die anderen, 1994. Ich selbst habe ihre Dienste nur einmal in Anspruch genommen, für eine WDR-Produktion, wusste aber davor schon von Bekannten um die Bedeutung, die sie in der Filmszene der Stadt besitzt. Seinerzeit erstaunte es mich, wie klein der Laden war, der ein so großes Angebot hatte. Nun ist seine Existenz von der Konkurrenz im Netz bedroht, die Streamingdienste machen ihr zu schaffen, denn viele Videothekenbesucher sind heutzutage Serienfans. Der Brutto-Umsatz müsste sich monatlich um 750 € erhöhen, auch das scheint mir gering. Zusätzlich zu den Spenden etabliert sich ein Patensystem. Der Kunde als Mäzen, anders geht es vielleicht nicht mehr. Die Videothek ist kein anerkanntes Kulturgut, das auf Unterstützung von staatlicher Seite hoffen darf.
Ihr frühes Schmuddel-Image wirkt gewiss noch nach. Vor anderthalb Jahren habe ich mich ausgiebiger mit ihr beschäftigt für einen Kulturtermin auf rbb kulturradio, der zur gemeinsamen Abschiedssendung mit meiner Redakteurin Petra Castell wurde (siehe meinen Eintrag »Nicht alles versendet sich« vom 28. 1. 2016). Eine unschätzbare Hilfe bei der Vorbereitung war Tobias Haupts' Monografie »Die Videothek«, die 2014 bei transcipt in Bielefeld erschien. Ihr verdanke ich erstaunliche Erkenntnisse über die Geschichte einer Institution, die ich als Kunde eigentlich hautnah hätte mitbekommen müssen. Die ersten Videotheken kamen in den 1970ern in den USA, kurze Zeit später auch bei uns. Haupts schreibt sehr anschaulich über den Boom, der in den frühen 80ern, also noch vor der Einführung des Privatfernsehens bei uns stattfand. Das waren echte Goldgräberzeiten, selbst Tankstellen stiegen damals in das explodierende Geschäft ein. Haupts' Forschungen zufolge lagen die meisten Videotheken in Bahnhofsnähe (in meiner Heimatstadt war das nicht der Fall, aber dennoch scheint mir die Einschätzung plausibel), in den Amüsiervierteln mit niedrigen Ladenmieten, gleich neben Spielhöllen und Sexshops. »Man macht sich nicht fein, um in die Videothek zu gehen«, sagte der Autor, als ich ihn für die Sendung interviewte.
Mithin hatte die bedrohte Videothek anfangs selbst Anteil an einem rabiaten Verdrängungsprozess: dem Sterben der Bahnhofskinos und gewiss auch der Pornokinos, die man anständigerweise nur mit hochgeschlagenem Mantelkragen aufsuchte. Einschlägige Produzenten wie Mike Hunter, auch er ein Kölner, vertrieben nicht nur Soft- und Hardcore, sondern stellten fest, dass sich auch mit Truffaut und Louis Malle beachtliche Umsätze erwirtschaften ließen.
Anfangs war die Videocassette ein spätes Glied in der Verwertungskette. Aber sie versprach eben auch eine demokratische, wenngleich begrenzte Verfügbarkeit von Filmen und Filmgeschichte. Auch darin sind sie den heutigen Streamingdiensten verwandt. Während der Vorbereitungen zu meiner Radiosendung erfuhr ich auch, wie wichtig das Videogeschäft in den USA zur Finanzierung von Independentfilmen war: Tarantino, Soderbergh und andere konnten im Kino debütieren, da die Produzenten mit dem voraussichtlichen Absatz von Cassetten kalkulieren konnten. In Deutschland funktionierte das nicht. Hier hatte die Branche vor allem mit dem Jugendschutz zu kämpfen, mit Kampagnen, für die Haupts wesentlich die CSU namhaft macht. Ein interessanter Aspekt seiner Untersuchungen ist hierbei auch die beargwöhnte Emanzipation des Zuschauers, der über die Stopp-Taste sowie Vor- und Rücklauf verfügt.
Den Nimbus des Anrüchigen schrieben sich die Programmvideotheken, die Mitte der 80er aufkamen, stolz auf ihre Fahnen. »Widerliche Filme für widerliche Leute« hieß der Slogan des Videodroms, von dem es sich heute verabschiedet hat. Denn mit der Programmvideothek ging eben auch eine Nobilitierung einher. Sie positionieren sich als Inseln des cinéphilen Anspruchs, deren Angebot die internationale Filmgeschichte in vielen, nicht zuletzt entlegenen Facetten abbildet. Man kann sie besuchen wie den Buchhändler seines Vertrauens. Obwohl sie ihre Bestände online präsent halten, sind sie doch immer noch Wunderkammern, in denen man stöbernd auf Entdeckungsreise gehen kann. Ursprünglich boten sie ein exzentrisches Gegengewicht, das Lücken im Angebot von Fernsehen und Kino schloss, Wer hätte damals ahnen können, dass ihnen aus dem Netz eine so übermächtige Konkurrenz zuwachsen würde?
Mit dem Aufkommen der DVD setzte um den Milleniumswechsel herum ein neuer Boom ein. Der war zugleich ein Todesstoß auf Raten, denn sie war tendenziell eher ein Kauf- als ein Verleihmedium. Einige Programmvideotheken versuchen, sich neu zu erfinden, zum Beispiel als Begegnungsort, an dem das Gemeinschaftserlebnis des Filmeschauens wiederentdeckt werden soll. Die Traumathek hat dazu das "Studio Argento" eingerichtet, eine schöne Reverenz. Die Mitarbeiter der Filmkunstbar in Berlin mixen den Kunden Cocktails, was insofern nicht unsinnig ist, weil in Videotheken ohnehin Rauschmittel über die Theke gereicht werden. Ich weiß nicht, ob so etwas mittelfristig hilft. Ich bin nicht einmal sicher, ob die Grundkompetenz der Programmvideotheken, eine große Sammlung und kenntnisreiche Beratung anzubieten, ihnen bald noch einen Vorteil gegenüber Anbietern wie Netflix verschaffen wird. Vom Verlust des Haptischen will ich eigentlich gar nicht erst reden. Aber vielleicht sucht man angesichts solcher Umwälzungsprozesse manchmal doch Zuflucht im Pathos. Der kämpferische Geist der Traumathek-Betreiber ist jedenfalls beeindruckend. Zum Aufgeben ist es hoffentlich noch zu früh.
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