Kritik zu Nebenwege
Michael Ammann stellt in seinem Kinodebüt das inzwischen gut eingeführte Pilgermotiv als generationsübergreifendes Familientherapeutikum vor
Mit Hape Kerkelings Bestseller »Ich bin dann mal weg« wurde das Pilgern als probates Mittel zur Entschleunigung medienwirksam salonfähig gemacht. Neben Hunderttausenden mehr oder weniger religiös motivierten Wanderern, die auf Kerkelings Spuren den Jakobsweg erkundeten, entdecken auch Filmemacher das Pilgern als Medium zur Selbstbesinnung. So schickte schon in Saint Jacques die französische Regisseurin Coline Serreau eine gut durchmischte Gruppe von Großstädtern auf Pilgerreise und in Dein Weg von Emilio Estevez vermaß Martin Sheen als trauernder Vater mit Urne im Gepäck die Wallfahrtsstrecke. Nun nutzt Michael Ammann in seinem Kinodebüt Nebenwege das Pilgermotiv als generationsübergreifendes Familientherapeutikum.
Richard (Roeland Wiesnekker) ist ein gestresster Enddreißiger, dessen Leben geradezu prototypisch nach Entschleunigung lechzt. Das eigene Architekturbüro läuft nicht so, wie es soll. Lautstarke Mobiltelefonate erzählen von einer abgestürzten Festplatte, verpatzten Abgabeterminen und »den Chinesen«, die ihren Großauftrag zurückziehen wollen. Viel zu spät rauscht er am vereinbarten Treffpunkt an, wo die 14-jährige Tochter Marie (Lola Dockhorn) in all ihrer pubertären Miesepetrigkeit wartet. Die Ehe ist vor ein paar Jahren in die Brüche gegangen und Marie gibt daran dem Vater die Schuld.
Damit nicht genug will Richard heute auch noch den Umzug seiner Mutter ins Altersheim über die Bühne bringen. Hilde (Christine Ostermayer) ist an Alzheimer erkrankt und denkt nicht daran, sich in den Pflegebetrieb abschieben zu lassen. Während Richard ihre Habseligkeiten in den Transporter verlädt, macht die Oma sich in Filzpantoffeln und Kittelschürze auf nach Altötting zur Schwarzen Madonna, die ihr stets in schwierigen Lebenslagen Beistand geleistet hat. Der Weg ist das Ziel – so lautet das internationale Mantra des Pilgerfilms, der seinen Protagonisten wenn schon keine spirituelle, so doch zumindest eine therapeutische Erleuchtung vermitteln will.
Ammanns Nebenwege fehlt dazu allerdings jene mäandernde Gelassenheit, die die behauptete Selbsterfahrung auf der Leinwand als glaubwürdigen Erkenntnisprozess erscheinen lässt. Zu deutlich sind die Zielvorgaben schon in der klischeehaften Anlage der Figuren vorgezeichnet. Hier der gestresste Vater, der sich auf der unfreiwilligen Wanderung von seinem beruflichen Leistungsdruck lossagt. Dort die genervte, pubertierende Tochter, die neu zuhören lernt. Da die demente Großmutter, die dramaturgisch passgenau ihre hellen Momente hat. Erst landet das Auto im Graben, dann ist der Akku vom Handy leer und als auch noch die Brieftasche verloren geht, sind alle materiellen Störfaktoren beseitigt und man kann im letzten Filmviertel gemeinsam zur familiären Traumabewältigung schreiten.
Nebenwege ist ein Film, der von den Irrungen und Wirrungen des Lebens erzählen will, aber seinen Figuren kein Leben einhauchen kann, weil die Entfaltungsmöglichkeiten der Charaktere von den offensichtlichen Entwicklungsvorgaben erdrückt werden. Über weite Strecken sieht der Film aus wie sein eigener Förderantrag.
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