Interview mit Josef Hader über sein Regiedebüt »Wilde Maus«

»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so schön sein würde«
»Wilde Maus« (2016). © Majestic Filmverleih

»Wilde Maus« (2016). © Majestic Filmverleih

Herr Hader, Sie haben erstmals bei der Verfilmung des Theaterstücks »Indien« (1993) am Drehbuch mitgearbeitet…

Mein Kollege Alfred Dorfer und ich hatten das als Zweipersonenstück geschrieben und gespielt. Damals kam ein junger Regisseur, Paul Harather, der noch an der Filmakademie studierte, und wollte daraus einen Film machen. Daraufhin habe ich mit ihm zusammen das Drehbuch verfasst. Ich weiß noch sehr gut, dass ich damals meine ersten Auseinandersetzungen über Drehbuchdramaturgie hatte - mit ihm, der mir alles nahegebracht hat, was es so an amerikanischen Ideen dazu gibt. Ich fand es schon damals gut, darüber Bescheid zu wissen, auch um es bewusst nicht immer zu machen. Das Bühnenstück »Indien« war zweiaktig, es gab den ersten Teil, der richtig lustig war, mit einer großen Zäsur, und – nach der Pause - einen zweiten Teil, der richtig traurig war, danach kam nichts mehr. Für den Film haben wir es nicht in einen Dreiakter umgewandelt, obwohl es uns nahegelegt wurde.

Das war gegen jede Regel. Das erwartet man nicht im Kino – da erwartet man immer eine Krise und dann wird man aufgefangen.

Hat diese erste Schreiberfahrung für die Leinwand sich später auch bei Filmen bemerkbar gemacht, wo Sie nur als Darsteller engagiert waren? Haben Sie Sich da gelegentlich zu dramaturgischen Fragen geäußert? Bei Szenen, in denen Sie nicht auftraten? Oder nur, wenn die Regisseure Sie darum gebeten haben?

Ich habe bei allen Rollen, wo ich nicht von vornherein Ko-Autor war (und das sind ja nicht so viele) zugesagt, weil das Buch mir wirklich gut gefallen hat oder ich das Gefühl hatte, dass ich irgendeinen besonderen Zugang zu der Rolle habe und dachte, dass es gut ist, dass ich sie spiele und nicht ein richtiger Schauspieler. Da war es mir dann immer ein Ehrgeiz, wirklich jedes Komma zu spielen, ohne etwas am Text zu ändern. In den Wolf Haas-Verfilmungen war ich ja von vornherein Mitautor. Da haben wir auch am Set oft noch Änderungen vorgenommen. Es war mir immer ein Anliegen, und das habe ich auch bei diesem Film probiert, dass am Ende, bevor gedreht wird, die Anregungen der Schauspieler in die Drehbuchfassung mit einfließen - dass das Drehbuch auch ein Stück weit auf die Besetzung zugeht. Gute Schauspieler sind so gute Anwälte ihrer Figuren, dass das Drehbuch nur profitieren kann.

War es bei »Wilde Maus« so, dass Sie sich sagten, jetzt bin ich so weit, dass ich selber inszenieren kann und suche mir einen Stoff, oder gab es erst den Stoff und im Vorbereitungsprozess die Entscheidung, diesmal auch die Regie zu übernehmen?

Am Anfang war die Idee, ein Buch ganz allein zu schreiben, ein Originaldrehbuch, und zu schauen, was dabei herauskommt, und selber auch die Hauptrolle zu spielen. Dass ich selber einmal Regie führen möchte, hatte ich zwar immer im Hinterkopf, aber wenn ich selber die Hauptrolle spiele, ist das keine so gute Idee, dachte ich mir. Ich habe eigentlich immer zwei Pläne gehabt, Plan A und Plan B. Plan A war eigentlich schon, einen anderen Regisseur zu holen. Ich habe aber im Lauf des Schreibens immer mehr eine fixe Vorstellung davon bekommen, wie es ein sollte, und dachte mir, einen guten Regisseur kann man gar nicht bitten, denn das wäre eine Art Ko-Regie, weil ich schon so klare Vorstellungen hatte, d.h. jeder Regisseur ist arm, wenn er dazu kommt bei einem Projekt, in dem ich schon tief drinnen stecke – und umgekehrt bin ich auch arm, wenn er kommt und einen ganz eigenen Film machen will. Dann habe ich mir gesagt, mal sehen, was die Produktionsfirma sagt. Ich bin dann nach zwei Jahren bewusst zu einer Firma gegangen, mit der ich noch nie gearbeitet hatte, die mir aber aufgrund ihres Rufes am besten geeignet schien. Ich dachte mir, sie sagen, »Tolles Drehbuch, spiel' die Hauptrolle, aber um Gottes willen, lass die Regie!« – das ist ja auch ein Riesenrisiko für die Firma, wenn jemand zu ersten Mal Regie führt. Sie haben mich aber stattdessen beide angeschaut und gesagt, »Das ist Dein Film, Du musst Regie führen.« Da habe ich mir gedacht, mit diesem Vertrauen mache ich das. Sie haben mir dann wirklich in allen Dingen den Rücken freigehalten, in jeder Krise, die es auch gab, mich unterstützt. Es gibt drei Dinge bei dem Film, die ich am liebsten überhaupt nicht mehr ändern möchte ich in meinem Leben: ich möchte nur mit dieser Firma Filme machen, ich bin sehr glücklich mit der Wahl der beiden Kameramänner – das war auch die Idee, wenn ich einen Film mache, umgebe ich mich mit jungen Leuten, ich möchte mit niemand arbeiten, der schon sehr stark einen Kamerastil hat.

Von der Kamera her ist gleich die erste Szene ein Paukenschlag, eine sehr lange Einstellung, in der die Kamera vor Ihnen herfährt…

Ich habe mir gedacht, dass seine Entlassung eine sehr statische Angelegenheit ist: zwei Männer, die sich gegenübersitzen, Schuss – Gegenschuss. Und dann überlegt man sich, wie sollte die Szene davor aussehen? Insofern war klar, dass diese Szene eine Bewegung haben sollte: er geht seinen Weg und plötzlich ist er gestoppt und entlassen. Das wollte ich ausdrücken, war mir aber noch nicht darüber im Klaren, wie. Denn die ersten Redaktionsräume waren zu klein, erst bei einer Wiener Boulevardzeitung fanden wir dieses Großraumbüro, das uns genug Platz gab für eine ununterbrochene Einstellung, vom Aufzug bis zur Raucherterrasse.

Man erfährt dabei ja auch schon eine Menge über ihn: sehr schön fand ich den doppelten Jack White, er meint den deutschen Schlagerproduzenten, seine jüngere Kollegin den britischen Rockmusiker.

Ja, den deutschen Jack White kennt heute wohl kaum noch jemand.

Da Sie einen Musikkritiker spielen, kann man wohl davon ausgehen, dass Sie viele Überlegungen auf die Auswahl der Musikstücke verwandt haben?

Der erste Gedanke war nur, dass ich mir gesagt habe, wenn ich einen Film mache, dann muss das ein Film ohne Score sein, weil ich als Zuschauer Scores selten mag. Und ich bin eben immer gut damit gefahren, die Dinge so zu machen, wie sie mir selber gefallen. Das Zweite war, dass ich enge Beziehung zur klassischen Musik habe und das im Film auch ausdrücken wollte.

Wie weit war der Rhythmus des Films schon bei Dreh da, wieweit fand er sich erst im Schneideraum?

Das war insgesamt ein großer Lernprozess, bei dem wir uns bemüht haben, nicht allzu viele Fehler zu machen. Einiges haben wir im Schnitt weggelassen, anderes geändert. Im Drehbuch las sich der fortwährende Wechsel der Orte sehr abwechslungsreich, aber der Rhythmus war fade, so haben wir ihn länger im Prater gelassen und sind dann erst wieder zurück in die Wohnung, wir haben die Kleinteiligkeit ein wenig rausgenommen. Auf den Schnitt habe ich viel Zeit verwendet und zwischendurch auch immer wieder Pausen gemacht, damit ich noch einmal mit frischem Blick draufschauen konnte. Man kann durchaus sagen, dass der Film im Schnitt noch einmal neu überlegt wurde.

Gab es auch beim Drehbuchschreiben immer wieder Pausen?

Ich habe eine Fassung geschrieben, dann etwas anderes gemacht, dann die nächste, das Ganze dauerte drei Jahre. Diese Abstände sind für mich sehr gut, andererseits kann ich auch die Disziplin nicht aufbringen, drei Stunden am Tag zu schreiben, ich brauche immer eine freie Zeit, wo ich mich in so eine Sache hineinschrauben kann.

Gibt es generelle Unterschiede beim Schreiben eines Drehbuches und beim Schreiben eines Kabarettprogramms?

Nicht so stark, wie man annehmen würde, weil meine Kabarettprogramme meistens auch ein wenig wie Theaterstücke strukturiert sind. Der große Unterschied ist, dass man für sich selber schreibt und niemand draufgucken muss. Dadurch kann es mehr Textsammlung bleiben und der Text wird erst durch Lesungen vor Leuten ausgeformt.

Gab es Drehbuchfassungen, die Sie anderen zum Lesen gegeben haben?

Immer mal wieder. Jede Fassung wurde von ein paar Leuten gelesen, wobei ich immer darauf geachtet habe, dass jemand dabei war, der es zum ersten Mal liest. Beim Dreh war ich das absolute Gegenteil von einem Regisseur, der seinen Film vollkommen im Kopf hat, ich habe viele Vorschläge aufgenommen.

Sie haben das tragikomische Element als entscheidend für den Film benannt. Mussten Sie da im Schnitt nach der einen Seite hin ausgleichen?

Im Vergleich zu den Filmen, die ich vorher geschrieben hatte, musste ich das Komische zurücknehmen, denn das Komische kann die Probleme des Films kleiner machen, weil man das Gefühl hat, dass am Ende doch alles gut ausgeht Es war mir hier wichtig, dass die Zuschauer zwischendurch diesen Glauben verlieren. Diese Ausbalanciertheit habe ich allerdings schon im Drehbuch gesucht, im Film stellte sich das als eher mühelos heraus, weil ich lauter Schauspieler und Schauspielerinnen hatte, die gar nicht komisch spielen konnten. Sie haben einfach ihre Figuren gespielt und die Situationen. Ich kann mich an kein einziges Mal erinnern, wo ich das Gefühl hatte, wir sind zu komisch.

Sie spielen einen Kritiker, wir sehen auch einmal ein Opfer seiner Tätigkeit, den asiatischen Imbissangestellten. Als wir über »Das bessere Leben« sprachen, ging es auch darum, wie Sie selber mit Kritiken umgehen.

Mein Verhältnis zu Kritikern hat bei dem Drehbuch keine Rolle gespielt. Ich wollte jemand von großer Bedeutung, einen König, vom Thron stürzen, ihn tief fallen lassen. Das war notwendig um zu erklären, warum diese Arbeitslosigkeit ihn im Verlauf des Films dann so seltsam macht. Ich habe mich gefragt, welchen Beruf es gibt, an dem die Menschen oft so narzisstisch dran hängen wie Künstler, gleichzeitig aber von einem Tag auf den nächsten entlassen werden können. Wenn man dann noch im Kopf hat, es sollte ein bedrohtes Gewerbe sein, dann landet man schnell bei einem Journalisten.

Einige Kritiker waren bei »Vor der Morgenröte« offenbar überrascht, dass Sie ein Drama tragen können. Wie wichtig war die Rolle des Stefan Zweig für Ihren eigenen Film?

Ein Grundgedanke war: bevor ich meinen Film mache, wollte ich mich ein ganzes Jahr nur mit Film beschäftigen und nicht mit Kabarett. Maria Schraders Film war ein Projekt, bei dem das Tragische im Vordergrund stand, man konnte sich freispielen von allen kabarettistischen Versuchungen. Und schließlich war es ein filmisch äußerst interessantes Projekt, mit diesen langen Einstellungen, die mich schauspielerisch sehr gefordert haben, da ich ja kein Theaterschauspieler bin.

Gibt es etwas, von dem Sie sagen würden, das war die größte Überraschung beim ersten Mal Regieführen, Sie hätten nicht damit gerechnet, dass es so schwer sein würde?

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so schön sein würde – vom Schreiben bis zum Schnitt.

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