Berlinale Classics: »Canoa« (Mexiko 1976)
Berlinale Classics: 1976 war der Film im Berlinale-Wettbewerb und gewann den silbernen Bären. Jetzt war Welturaufführung der restaurierten Fassung im Berlinale Classics: »Canoa« / »Hetzjagd in Canoa« von Felipe Cazals ist starkes politisches Kino, ein heftiges Drama um wahre Ereignisse: Im September 1968 wurden in der Kleinstadt Canoa von einem vieltausendfachen Lynchmob fünf junge Männer aus der nahegelegenen Stadt grausam angegriffen, vier wurden ermordet, weil man sie für aufrührerische, kommunistische Studenten hielt. Das war damals in Mexiko eine große Sache; vielleicht nicht ganz so groß wie der Mord an Benno Ohnesorg in der BRD, aber andererseits kenne ich mich mit mexikanischer Geschichte auch nicht so aus...
Cazals beginnt mit einer Meldung des Korrespondenten an die Redaktion über die Ereignisse; unter den Vorspann legt er schwarz-weißes Archivmaterial der zerstückelten Leichen. Dann geht er nach Canoa, zunächst in der Art einer Dokumentation, mit einem erklärenden Kommentar; dann tritt ein Bauer auf, in Interviewsituationen, und allmählich merken wir, dieser Mann mit der grünen Feder am Hut wird unser Erzähler sein, eine Art griechischer Chor, der die Besonderheiten von Canoa erläutert. Welche Macht der Priester hier hat, der Richter, Polizei und Rathaus in der Hand hat, der einerseits Straßen, Wasser, Elektrizität und Telephon gebracht hat, andererseits sich auch von der gesamten Stadt dafür hat reichlich bezahlen lassen. Der einteilt in Freund und Feind, und der aufhetzt gegen alle, die des Teufels sind. Gegen die, die zuwenig bezahlen, und gegen die ganzen Kommunisten, von denen man immer in der Zeitung liest.
Dann schalten wir nach Puebla, in die Universitätsstadt, wo die jungen Leute einen Ausflug in die Berge planen. Und man merkt: Das sind keine wirklich ausgebildeten Schauspieler, wahrscheinlich Laien; und der Film lässt ziemlich nach im Mittelteil, wenn Cazals zu sehr auf Emotion drückt: Ach, die Gemeinschaft dieser fünf Freunde, oh, ihre Begeisterung am Ausflug... Und dann die Realität, der heftige Regen in Canoa, sie finden keine Herberge, kommen dann aber durch die Solidarität der Jugend doch unter, während sich außen der Mob formiert, aufgepeitscht durch die Lautsprecher, die den Ort beherrschen als Informations- und Propagandainstrument, mit dem jeder erreicht werden kann... Und dann das Abschlachten: Das ist wirklich schlimm. So grausam, so realistisch und böse und schmerzhaft... Und dann wieder dieser ironische Erzähler, der in die Kamera redet; und auch der Priester bekommt seine Statements, darf sich herausreden...
Hierin liegt die Kraft des Films bis heute: Wie er eine Gesellschaft zeigt, beispielhaft an Canoa, die tief gespalten ist, geleitet von einem egomanischen Führer, der alles Fremde draußen lassen will, der in seine eigene Tasche arbeitet, der seine Feinde überall sieht und dessen Anhänger vor dem Übelsten nicht zurückschrecken...
Selbstverständlich wurde in der Einführung durch den Regisseur auf Donald J. Trump hingewiesen.
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