Kritik zu Die Hölle – Inferno
Eine junge Wienerin im Kampf mit einem Serienkiller und den vielfältigen Dämonen eines islamistisch-religiös verbrämten Machismo. Vienna-Noir von Stefan Ruzowitzky mit handwerklich perfekt gemachten Actionsequenzen
Angst liegt über der Stadt, Düsternis durchzieht die hektischen Straßen der Donau-Metropole. Özge, die zierliche junge Wienerin türkischer Herkunft, fährt Taxi in diesem urbanen Wahnsinn. Mit den meisten miesen Nachtgestalten wird sie locker fertig. Die kleinen türkischen Machos, die sie anfegen, haut sie windelweich. Denn ihr schlanker Körper ist eine Waffe, als besessene Kickboxerin trainiert sie ihn bis in die letzte Muskelfaser. Diese Özge umgibt ein Hauch von Travis Bickle. Wie sie von der aufregenden Violetta Schurawlow gespielt wird, ist sie zweifellos ein emanzipiertes Muslima-Supergirl mit melancholischem Wiener Sex-Appeal.
Regisseur Stefan Ruzowitzky (Oscar für »Die Fälscher«), Drehbuchautor Martin Ambrosch und Kameramann Benedict Neuenfels: sie haben einen überaus spektakulären Wiener Actionthriller gedreht, ein richtiges deftiges Kinostück, das natürlich härter und schneller und näher am Puls der Zeit sein muss als ein »Tatort«-Krimi oder eine österreichische Arthouse-Produktion. In die Brillanz der urbanen Höllenbilder mischt sich aber von Anfang an eine Tendenz zur Forcierung; die Charakterzeichnungen und Genrekonventionen wirken dabei oft allzu aufgeladen, beinahe überzogen.
Als Özge eines Nachts wieder in ihr schäbiges Apartment zurückkehrt, betritt sie Hitchcock-Land und Giallo-Terrain. Sie wird Zeugin eines bizarren Ritualmordes an einer Prostituierten im Nachbarhaus. Dies ist vielleicht der bedrohlichste Moment des Films: wenn Özge im Schatten die Umrisse des Mörders sieht und erkennt, dass dieses Phantom wiederum sie anvisiert. Diese schrecklich-intime Nähe zum Bösen deutet auch an, dass der Terror längst Teil von Özge geworden ist.
Die junge Heldin muss sich also äußerlich wehren gegen Psychokiller. Ein Taxi-Horrortrip durch Wien mit dem Mörder als Fahrgast sowie eine U-Bahn-Fahrt auf Leben und Tod betonen auch die Kunstfertigkeit von Regisseur und Kameramann. Die Wunden, die Özge dabei erleidet, werden in erotischer Weise präsentiert: als sei sie eine versehrte, willensstarke Tänzerin im Actionballett.
Die Heldin muss sich zudem innerlich befreien vom Patriarchat eines archaisch geprägten Islams, das immer noch ihre weit verzweigte Familie bestimmt. Der Serienkiller könnte auch Metapher sein für den Terror ihrer Kindheit. Auf der Flucht durch Wien, bei der sie noch das Kleinkind einer ermordeten Verwandten mitnimmt, landet sie ausgerechnet in der Wohnung des Kommissars Steiner, den Tobias Moretti als abgehalfterten, politisch unkorrekten Wiener gibt. In dieser chaotischen Innenstadtwohnung kommt der Film ein wenig zur Ruhe. Und es ist seltsam ironisch und schön zu beobachten, wie sich eine Patchworkfamilie bildet in Anbetracht der Bedrohung. Die neue versehrte Heldin und der angeschlagene Austro-Macho, das kleine Kind und Steiners dementer Vater (Friedrich von Thun). Die Möglichkeit der Liebe eröffnet sich für Özge, als sie beobachtet, wie Steiner seinem kranken Vater den Hintern abwischt. Eine Beobachtung der radikalen Menschlichkeit und ein Kontrapunkt zur überdrehten Action.
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