Interview mit Rafi Pitts über seinen Film »Soy Nero«
Rafi Pitts (2009)
Mr. Pitts, bei Ihren früheren Filmen mussten Sie Sich stets der Tatsache bewusst sein, dass sie in einem Land spielten und auch dort gedreht wurden, in dem es eine Zensur gibt. War das merkwürdig, dass dies bei »Soy Nero« nicht der Fall war?
Ich weiß nicht, ob es nicht der Fall war. Es gab keine ideologische Zensur, wohl aber eine ökonomische. Ich arbeitete auch hier innerhalb bestimmter Grenzen, aber ich würde sagen, die Zensur hat mich gelehrt, wie ich manövriere. In mancher Hinsicht finde ich die ökonomische Zensur schwieriger, denn sie ist komplizierter zu erklären. Sie ermutigt nicht eine (Film-) Sprache in derselben Weise, wie es eine ideologische Zensur vermag. Ich hatte immer großen Respekt vor Filmemachern, die ihre Arbeit trotz der Zensur machen.
Sie würden sagen, dass ökonomische Beschränkungen zu ihrer Filmsprache beigetragen haben?
Immer. Man muss sich laufend klarmachen, was man sagen will. Drehe ich in den USA, so muss ich auf die Gewerkschaften Rücksicht nehmen und dass ich es mit einer anderen Kultur zu tun habe.
Im Fall der iranischen Zensur hatten Sie Jahre Zeit, um zu lernen, wie Sie mit ihr umzugehen hätten. Diesmal war es gewissermaßen ein Sprung ins kalte Wasser. Wie haben Sie Sich darauf vorbereitet? Haben Sie mit amerikanischen Filmemachern gesprochen?
Das habe ich nicht, denn ich bin der Auffassung, wir haben alle unsere eigene Art und Weise, damit umzugehen – jeder improvisiert anders. Die Auseinandersetzungen mit der iranischen Zensur waren sicherlich ein gutes Training für mich, aber es war nicht meine erste Amerika-Erfahrung, ich bin seit den achtziger Jahren öfters dagewesen. Für »Soy Nero« bin ich Monate vor Drehbeginn dort gewesen, nicht nur um mich mit der Landschaft vertraut zu machen. Die amerikanischen Darsteller haben ihre eigene Realität mit in den Film eingebracht. so lernte ich von ihnen und nicht anders herum.
War der Besetzungsprozess anders als bei Ihren früheren Filmen?
Ja, denn da habe ich mit Laien gearbeitet. Deshalb verbrachte ich zuvor Zeit in der Umgebung der Figuren, um die richtigen Darsteller für sie zu finden. In den USA ist das wegen der Gewerkschaften nicht so einfach. Aber dafür gibt es da eine Schauspielerkultur (auch in den Filmen von John Cassavetes), und das wollte ich mir zunutze machen. Zudem habe ich zum ersten Mal mit einem rumänischen Drehbuchautor gearbeitet, der wunderbare Dialoge geschrieben hat, die ich zusammen mit den Schauspielern ausprobieren wollte. Zugleich musste ich sie aber auch ermutigen, vom Vorgegebenen abzuweichen, um ihre wirklichen Emotionen zu bekommen.
Haben Sie verschiedene Takes von einer Szene gedreht oder aber lange vorbereitet und dann nur einmal gedreht?
Ich probe nie mit Schauspielern in einer Gruppe, sondern mit jedem einzeln. Entsprechend lange dauert das. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich damit am besten ihren direkten Ausdruck bewahren kann.
Sie haben diesen Film auf 35-mm-Zelluloid gedreht, was ja immer seltener wird. War das mit bestimmten Schwierigkeiten verbunden?
Wirklich jeder hat versucht, mir das auszureden. Inzwischen begreife ich, dass das vor allem eine ökonomische Sache ist. Ich habe einige Probeaufnahmen mit der Alexa gemacht, um einen Vergleich zu haben. Beide Bilder sahen gut aus, aber die 35-mm-Bilder hatten eine Temperatur - man konnte die Hitze spüren. Das war bei den digitalen Aufnahmen nicht der Fall. Ich habe also nicht aus nostalgischen Motiven auf Zelluloid gedreht, sondern weil ich spürte, dass das eine Spannung schafft, eine Spannung auch im Denken.
Das war vermutlich mit einer entsprechend großen Arbeit in der Postproduktion verbunden, denn anders als Quentin Tarantinos letzter Film wird Ihrer in den Kinos wohl nicht in 35 mm zu sehen sein.
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Da ich aus dem Iran komme, bin ich es nicht gewohnt, die täglichen Muster anzuschauen, ich bin auch kein Fan davon. Ich spüre beim Drehen, ob die Aufnahmen etwas geworden sind – wenn es hinterher nicht gerade technische Probleme gibt. Wenn das Labor sagt, sie sind in Ordnung, dann ist es für mich o.k., die notwendige Nacharbeit geschieht dann im Schneideraum. Filmemachen ist für mich ein fortwährendes Umschreiben. Genau das macht die Arbeit so aufregend, ob es nun das Umschreiben durch das Casting, die Inszenierung, die Arbeit mit den Schauspielern, den Schnitt oder das Sound Design ist.
Wie sind Sie mit Ihren Ko-Autor Razvan Radulescu zusammen gekommen?
Ich habe seit 2006 in Rumänien Film unterrichtet. Das ergab sich durch eine Mitarbeiterin der Berlinale, die rumänische Wurzeln hat und mich fragte, ob ich daran interessiert sei. Ich traf dort viele rumänische Filmemacher wie Christian Mungiu und Christi Puiu, sie haben eine bemerkenswerte Energie, ebenso die Studenten, das erinnerte mich an den Aufbruch in den sechziger Jahren. Radulescu lernte ich dann durch meinen deutschen Ko-Produzenten Thanassis Karathanos kennen. Wir saßen dann zusammen in Bukarest, wo ich einige Monate dafür verbrachte, in Berlin und in Paris.
Im Hinblick auf wenige Figuren und eine überschaubare Anzahl von Schauplätzen ähnelt »Soy Nero« ihren früheren Filmen. Das wäre wohl nicht anders gewesen, hätten Sie ein höheres Budget gehabt?
Nein, das denke ich auch. Eine meiner Obsessionen ist schon immer das Niemandsland gewesen. Und die USA sind für mich ein Niemandsland, weil sie zu keiner Nation gehören, keine Nationalität besitzen. Es ist eine vergleichsweise junge Nation, die aber doch Einwanderern große Probleme macht. Das Land des mittleren Ostens, in dem Nero sich am Ende als Soldat befindet, habe ich nicht näher lokalisiert, denn es ging mir dabei eher um einen geistigen Zustand.
Die absurden Momente sind Teil der Geschichte, aber Sie haben erwähnt, dass Sie einer Absurdität begegnet sind, die Sie weggelassen haben, weil man Ihnen nicht geglaubt hätte, dass sie real ist: das Begräbnis von US-Soldaten mexikanischer Herkunft direkt an der Grenze.
Das stimmt. Ich wollte Amerika nicht kritisieren, sondern einen Spiegel vorhalten, einen Dialog mit einem Land eröffnen, das nicht mein Land ist. Das Begräbnis, das ich mit ansah, wirkte höchst gewalttätig: auf der einen Seite des Grenzzaunes die trauernde mexikanische Familie, auf der anderen Seite der Sarg. Ich habe auch keinen Soldaten iranischer Herkunft zum Protagonisten gemacht, weil man dann gesagt hätte, das sei ein Film über die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran.
Wurde die Geschichte in Gang gesetzt, als Sie von den Green Card Soldiers hörten?
Nein, ich wollte die Geschichte eines Mexikaners erzählen, der den Grenzzaum überwinden will. Darüber gibt es aber schon viele Filme, also suchte ich nach einem speziellen Grund, warum er das machen will. Als ich bei meinen Recherchen dann auf die Green Card Soldiers stieß, wurde ich auch auf den Dream Act aufmerksam – ein schöner Name für solch eine gewalttätige Sache, das schien mir gut zu der Geschichte zu passen. Das Verhältnis von Realität und Fiktion hat mich schon immer fasziniert, das war auch das Thema meiner Abschlussarbeit an der Universität.
Empfinden Sie diesen Film als Befreiung, weil Sie künftig nicht mehr gebeten werden, den Zustand des iranischen Filmschaffens und des Irans zu kommentieren, nun, nachdem Sie gezeigt haben, dass das nicht Ihr einziges Thema sein muss?
Das war noch nie mein Thema, ich arbeite von Film zu Film.
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