Kritik zu Right Now, Wrong Then

© Grandfilm

2015
Original-Titel: 
Ji-geum-eun-mat-go-geu-ddae-neun-teul-li-da
Filmstart in Deutschland: 
08.12.2016
L: 
121 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Als »koreanischer Eric Rohmer« wurde Hong Sang-soo vor Jahren bezeichnet, weil er in seinen Filmen ähnlich ruhig seine Figuren auf einem Stück Lebensweg verfolgt. Inzwischen steht zumindest unter Filmfestivalbesuchern sein Name für sich; nun kommt endlich einer seiner Filme bei uns in die Kinos

Bewertung: 4
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Der Herr Regisseur ist zu früh dran. Oder die Vorführung seines Films, in deren Anschluss er, der aus Seoul angereist ist, mit dem Publikum sprechen soll, ist verschoben worden. Jedenfalls hat er jetzt einen Tag lang Zeit, sich die alte Festungsstadt Suwon anzuschauen. Es ist Winter und kalt und er besichtigt einen Tempel. Im Hof der Segenshalle setzt er sich in die Sonne und macht ein Nickerchen. Als er aufwacht, sitzt schräg gegenüber eine junge Frau und trinkt Bananenmilch. Er spricht sie an.

Warum das in dieser Ausführlichkeit jetzt hier erzählt wird? Weil es auch in aller Ausführlichkeit gezeigt wird, nämlich zwei Mal. Das ist der Kunstgriff, den Hong Sang-soo in »Right Now, Wrong Then« anwendet.

Zwei Stunden Laufzeit, nach deren ziemlich genauer Hälfte die bis dahin dann eigentlich abgeschlossene Handlung erneut einsetzt, ein wenig anders, ein wenig verschoben – und am Ende eine Unschärfe erzeugend: Was war da nun eigentlich gerade zu sehen? Was für eine Geschichte ist erzählt worden? Denn es ist eben nicht so wie in Alain Resnais' »Smoking/No Smoking« aus dem Jahr 1993, in dem eine bestimmte Entscheidung einer Figur den weiteren Handlungsverlauf determiniert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Hongs Figuren notorisch wenig entscheidungsfreudig sind. Aber auch daran, dass hier keine Exempel statuiert werden, sondern menschliche Interaktion beobachtet wird. Es geht also mal wieder zu wie im wahren Leben, jedenfalls im koreanischen.

Und das heißt in den Filmen von Hong immer auch, dass es zu seltsamen, ein wenig befremdlichen, um nicht zu sagen unangenehmen und peinlichen Situationen kommt, die nicht selten ihre Ursache darin haben, dass mal wieder viel zu viel Soju die Kehlen der Protagonisten genetzt, ihre Zungen gelöst und sie allgemein enthemmt hat. Den Ruf, die Italiener Asiens zu sein, haben die Koreaner schließlich nicht umsonst. Unter der formvollendet hierarchische Feinheiten ausdrückenden Höflichkeit im alltäglichen Umgang ist ein lebhaftes, um nicht zu sagen: heißblütiges Temperament gedeckelt, das bevorzugt unter dem Einfluss von Alkohol ausbricht. Hongs gesamtes bisheriges Schaffen legt davon beredtes (beziehungsweise lallendes) Zeugnis ab – nunmehr endlich auch auf deutschen Leinwänden!

Es ist kaum zu glauben, doch »Right Now, Wrong Then«, der im vergangenen Jahr beim Festival in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde, ist tatsächlich der erste Film von Hong Sang-soo, der von einem Verleih in Deutschland regulär ins Kino gebracht wird. Dabei verzeichnet die Internet Movie Database unter dem Namen des 1960 in Seoul geborenen Regisseurs inzwischen bereits 22 Titel. Regelmäßigen Festivalbesuchern und Fans asiatischer Kinematographien ist Hongs Werk denn auch schon lange kein Geheimnis mehr, seine Arbeiten werden auf allen renommierten Filmfesten der Welt gezeigt. Mit »Night and Day« war er 2008 und mit »Nobody's Daughter Haewon« 2013 im Wettbewerb der Berlinale vertreten, in deren Forumssektion er 1997 mit »The Day a Pig Fell Into the Well« debütierte. Dass es dennoch so lange gedauert hat, bis das sogenannte breite Publikum die Gelegenheit erhält, Hong Sang-soo zu entdecken, ist rätselhaft. Vor allem insofern sich, allfälliger kultureller Differenzen zwischen Deutschland und Südkorea zum Trotz, leicht anknüpfen lässt an Hongs Geschichten, vor allem aber an die Gestalten, die diese zum Leben erwecken: Es sind normale Menschen mit durchschnittlichen Schwächen und Fehlern, die aufs Alltäglichste (auch an sich selbst) scheitern und deren Blamage weniger eine individuelle ist denn eine allgemein menschliche. Immer wieder auch sind es Filmschaffende und andere Künstler, die Hong in den Blick nimmt und deren von Zögerlichkeit, Eitelkeit und Selbstmitleid angekränkelte Suche nach Sinn und Ausdruck er ebenso entlarvend wie liebevoll zur Schau stellt.

Der Herr Regisseur spricht also die junge Frau an, die sich als Malerin herausstellt. Er lädt sie ein auf einen Kaffee, sie lädt ihn ein in ihr Atelier, dann gehen sie Sushi essen, und der Soju beginnt zu fließen. Der Besuch bei den Freundinnen der Malerin, der sich dann noch anschließt, führt zu eben jenem Zuviel, das anderntags den Brummschädel zur Folge hat – und an das man sich auch lieber nicht so genau erinnern will. Es ist ein verkaterter Vormittag und es beginnt zu schneien.

Es ist nicht das erste Mal, dass Hong eine Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeigt oder innerhalb der Narration zu bestimmten Motiven zurückkehrt. In »Ha Ha Ha« erzählen sich zwei Freunde gegenseitig ihre Urlaubserlebnisse, die schließlich die zwei Seiten einer Medaille ergeben; in »In Another Country« (2012) übernimmt Isabelle Huppert die Rollen dreier Frauen, die im gleichen Strandhotel dieselben Bekanntschaften machen; in »Our Sunhi« (2013) wiederum wird eine Frau aus der Perspektive dreier Männer beschrieben, die in sie verliebt waren. Diesmal sind es zwei Geschichten, die unter den Titeln »Right Then, Wrong Now« und »Right Now, Wrong Then« mögliche Variationen eines in der Grundstruktur gleichbleibenden Verlaufs anbieten. Beide Male geht, das verraten die Kapitelüberschriften, etwas schief. Oder ist von vornherein nicht richtig. Das Scheitern ist sozusagen vorprogrammiert. Aber es vollzieht sich mit geradezu erstaunlicher Subtilität.

Es sind die Nuancen und Details, die genaue Beobachtung ebenso wie die präzise Darstellung, die Hongs zweifache Erzählung letztlich zu einer singulären Erfahrung verschweißen. Das ist vor allem den beiden Hauptdarstellern – Jeong Jae-yeong in der Rolle des Regisseurs und Kim Min-hee in der der Malerin – zu danken, die ihre Figuren beide Male als dieselben wiedererkennbar und dabei doch jeweils ein ganz klein wenig anders gestalten. Sie verkörpern die Möglichkeitsform, die das Leben ist, die Handlungsfreiheit und die Grenzen des Charakters. Und sie sind zwei großartige Betrunkene!

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