Kritik zu Only Lovers Left Alive
Wenn Jim Jarmusch sich dem fantastischen Genre nähert, darf mit Außergewöhnlichem gerechnet werden – zum Beispiel mit sehr kultivierten Vampiren, die das Blutsaugen längst hinter sich gelassen haben
Alles dreht sich am Anfang von »Only Lovers Left Alive«. Von hoch oben schaut die Kamera auf die beiden Protagonisten herab; ein Ozean mag da noch zwischen ihnen liegen, aber die lange, langsame Kreisbewegung vereint sie schon hier. Wie auf Plattentellern sind sie drapiert, verbunden durch Musik und Montage – eine Komposition, der das Analoge einer Vinylscheibe ebenso innewohnt wie die Gleichförmigkeit ewiger Zirkulation. Dabei entsteht eine ganz harmonische Symmetrie, ein Yin und Yang der Körper und Bewegungen.
Dass es sich bei diesem in jeder Hinsicht altmodischen Duo nicht nur um die letzten verbliebenen Liebenden, sondern womöglich um das erste Liebespaar überhaupt handeln könnte, suggerieren ihre Namen: Adam und Eve. Aber so sehr sie auch zusammengehören, aktuell bevorzugen sie eine Fernbeziehung. Adam (Tom Hiddleston), ein langhaariger, stets schwarz gekleideter Rockmusiker, lebt zurückgezogen in einem mit Instrumenten und Devotionalien vollgestopften Haus am Rand von Detroit. Er scheut die Außenwelt, meidet seine Fans. Und hat meistens den Blues. Eve (Tilda Swinton) dagegen, eine selbstbewusste, kulturbeflissene Frau, genießt das quirlige Nachtleben Tangers. Mit ihrem alten Freund Marlowe (John Hurt) führt sie anregende Konversationen – und ereilte sie nicht eines Tages Adams dringender Hilferuf, gäbe es keinen Grund für sie, die nordafrikanische Exotik gegen die Tristesse einer sterbenden amerikanischen Autostadt einzutauschen.
Wenn die beiden schließlich voreinander stehen – 40 Filmminuten sind da schon vergangen –, ist das ein großer Wiedersehensmoment. Mit ihrer blonden Mähne und der fast gleichfarbigen cremeweißen Garderobe ist Eve in optischer Hinsicht das genaue Gegenteil des düsteren Adam. Aber die Blicke der beiden, die Zartheit und Innigkeit ihrer Berührungen belegen die Intensität ihrer Gefühle. Immens vertraut sind die zwei miteinander, komplett im Einklang. Und auch wenn ihre Liebe schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel hat, so ist sie doch immer noch so frisch und aufregend wie kurz nach der ersten Begegnung.
Denn Adam und Eve, man könnte fast vergessen es zu erwähnen, sind Vampire: Gestalten der Nacht, für die ganz eigene Gesetze gelten. Da wir uns in einem Film von Jim Jarmush befinden, unterscheiden sich diese Gesetze aber um einiges von der üblichen Genrekost. So entspannt und unaufgeregt, so normal und unspektakulär hat im Kino noch niemand die Blutsauger porträtiert. Das beginnt schon damit, dass sie längst keine Blutsauger mehr sind: Den roten Stoff besorgen sie sich ausschließlich aus hygienisch einwandfreier Quelle im Krankenhaus. Es den »Zombies«, wie sie uns Normalsterbliche nennen, aus den Adern zu schlürfen, wäre viel zu riskant, so verseucht ist unser Blut inzwischen. Bleibt noch das Tageslicht, vor dem sie sich in Acht nehmen müssen, ansonsten aber gibt es, rein äußerlich betrachtet, kaum Auffälliges an ihrer Existenz.
Die Äußerlichkeiten der klassischen Vampirexistenz und ihrer zeitgenössischen Kino-Nachfahren haben Jarmush offensichtlich genauso wenig interessiert wie die Gesetze des Westerns bei »Dead Man« oder des Gangsterfilms bei »Ghost Dog«. Für ihn stehen die Nachtgestalten eher stellvertretend für intellektuelle Individualisten, die es sich an der Peripherie gemütlich gemacht haben, gleichwohl unter dem Niedergang der Gesellschaft leiden und Trost in den schönen Künsten suchen. Vermutlich trägt der Gitarren sammelnde Bohemien Adam den einen oder anderen autobiografischen Zug; jedenfalls ist er als Figur genauso »retro« wie das ganze Jarmusch-Kino, das hier wieder einmal überzeugend mit lässiger Coolness und reduziertem Stil aufwartet.
Und die Story? Ist so dünn, dass sie kaum der Rede wert ist. Wichtiger als der Familienkonflikt, der sich nach dem unerwarteten Auftauchen von Eves Schwester Ava (Mia Wasikowska) entspinnt, sind die Streifzüge durch die Musik- und Kulturgeschichte, die Adam und Eve in ihren Gesprächen unternehmen. Die ulkigen Anspielungen und Zitate. Und die beiläufigen Kommentare zum Stand der Dinge, die durchaus Anlass geben zu vampirischer Schwermut.
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