Kritik zu 1001 Nacht: Volume 1-3
Politisches und Privates, Dokumentarisches und Phantastisches fließen in Miguel Gomes’ dreiteiligem Porträt des Lebens in Portugal in den Zeiten der Finanzkrise auf wundervolle Weise zusammen
Ein Erzählen, das sich nicht freiwillig beschränkt, das gezielt in die Breite und trotz allem auch noch ins Detail geht, das verschwenderisch und vielleicht sogar ein wenig größenwahnsinnig ist, macht sich angreifbar. Es flirtet von Anfang an mit dem Scheitern. Insofern ist es nur konsequent, dass der portugiesische Filmemacher Miguel Gomes schon sehr früh im ersten Teil seiner »1001 Nacht«-Trilogie buchstäblich die Flucht ergreift. Während sein Team eine dokumentarische Szene vorbereitet, sieht man durch ein großes Panoramafenster, wie Gomes einfach davonläuft. Das könnte das Ende dieses ambitionierten Projekts sein, das von Furcht und Elend, Hoffnung und Apathie im von der Troika geknechteten Portugal erzählen will. Aber es ist natürlich nur der Anfang. Sein Team holt den Regisseur ein, und plötzlich geht es um weit mehr als nur einen Film. Wie einst bei Scheherazade wird das Erzählen zu einem Überlebensprinzip. Geschichte muss auf Geschichte folgen, nur so kann Gomes das ansonsten Unaufhaltsame vielleicht aufhalten. Eine Texteinblendung zu Beginn jedes Teils weist darauf hin, dass 1001 Nacht keine Verfilmung der gleichnamigen Märchensammlung ist. Gomes greift einfach deren Struktur auf und versetzt die Erzählerin Scheherazade in das Portugal der bitteren Jahre 2013/14. Alles was sie und ihr neuer Schöpfer nun erzählen, basiert auf realen Ereignissen. Das Dokumentarische schwingt also immer mit, nicht nur in den ersten Momenten dieses großen Zeitpanoramas, in denen Gomes Werft-Arbeitern, die gerade ihre Werft verloren haben, eine Stimme gibt. Es ist selbst in der Geschichte von einem Hahn präsent, der sich wegen seines frühen Krähens vor Gericht verantworten muss.
Die Tiere, der Hahn genauso wie der Hund Dixie, der in einer anderen Episode von einem Besitzer zum nächsten gereicht wird, bringen auf der einen Seite ein phantastisches Element in die Erzählung ein. Auf der anderen Seite sind sie ein Korrektiv. Der Hahn hatte nur versucht, die Menschen vor einer Katastrophe zu warnen, und im Blick des Hundes liegt immer etwas Bedauern. Er schaut auf die Menschen und sieht ihre Schwächen wie ihre Nöte. Man wird dabei das Gefühl nicht los, dass die Tiere in Miguel Gomes' Welt nicht nur mitfühlender sind als viele Menschen. Sie scheinen auch mehr über die einfachsten Regeln des Zusammenlebens zu wissen. Aber das sollte auch niemanden verwundern. Schließlich dreht sich bei ihnen nicht alles um Geld.
Schon in »Our Beloved Month of August«, in dem Gomes sich dabei beobachtet hat, wie er einen Film in der portugiesischen Provinz dreht, haben sich Fiktion und Wirklichkeit, Selbstreflexion und Naivität zu einem kaum mehr zu entwirrenden Knäuel verknotet. »1001 Nacht« greift diesen Ansatz auf und verfolgt ihn konsequent weiter. Wenn am Ende des ersten Teils eine große Menge von Menschen am 1. Januar 2014 zusammenkommt, um ungeachtet der niedrigen Temperaturen im Meer zu schwimmen, erlebt der Film eine weitere Metamorphose. Die Geschichte eines verzweifelt um die Würde der Arbeitslosen und der Verarmten kämpfenden Gewerkschafters gleitet sanft in ein ethnologisches Dokument über.
Miguel Gomes und sein thailändischer Kameramann Sayombhu Mukdeeprom filmen diese bizarre Tradition in den gleichen sanften Farben und warmen Bildern wie auch die märchenhafte Odyssee der Scheherazade zu Beginn des dritten Teils. Es gibt keinerlei Unterschiede mehr zwischen Märchen und Realität, Politischem und Phantastischem. Die Gegensätze verschmelzen zu einem großen Panorama, das illusionslos von der Zerstörung eines Landes durch die Sparpolitik einiger weniger erzählt und zugleich Ausdruck des Widerstands gegen eine kleinliche, nur vom Glauben an Zahlen bestimmte Weltsicht ist. In dem Alltag der Menschen entdeckt Gomes wie in den Märchen aus »1001 Nacht« eine Gegenwelt, die den Bann einer menschenverachtenden Doktrin brechen kann.
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