Fantasy Film Fest Nights 2016
»The Witch« (2015) © Universal Pictures
Die Bedrohung der Familie – von außen oder innen – in Apokalypse-artigen Umständen ist zentrales Thema der diesjährigen Fantasy Film Nights in Hamburg und Frankfurt
Es ist ein Bild, das gleich in vier der zehn Filme auftaucht, die das Programm der diesjährigen Fantasy Film Nights bestreiten: jemand schleift einen reglosen Körper über den Boden. Manchmal ist es der Protagonist, manchmal der Antagonist. Dem Zuschauer signalisiert es: die Gewalt, die hier ausgeübt wird, ist sehr direkt, richtet sich von einem Körper gegen einen anderen Körper – und ist damit das Gegenteil des Knopfdrucks, der eine Drohne in Marsch setzt, die irgendwo, weit weg, Zerstörung anrichtet.
Einzig in jenen Momenten von »Pandemic«, wo die von einem Virus infizierten Menschen von den Protagonisten/Soldaten aus Egoshooter-Perspektive abgeknallt werden, hat die Gewalt etwas gegenläufig Abstraktes. Aber dafür entschädigt der amerikanische Film durch seine klaustrophobische Atmosphäre und durch eine Protagonistin, die nicht ist, was sie zu sein vorgibt. Das Klaustrophobische prägt auch den zweiten Virus-Film des Programms, den dänischen »What We Become« (im Original »Sorgenfri«, so wie sein Schauplatz, die gleichnamige dänische Vorortsiedlung, die laut Nachspann tatsächlich so heißt, wo man doch geneigt war, dies für einen sarkastischen Drehbucheinfall zu halten). »Sorgenfri« wird eines Tages vom Militär besetzt und abgeriegelt, infizierte Bewohner nicht ärztlich behandelt, sondern kurzerhand liquidiert, wie ein Mitglied der im Mittelpunkt stehenden Familie bei einem nächtlichen Streifzug feststellen muss. Die Spannungen zwischen den Figuren stehen hier erwartungsgemäß stärker im Mittelpunkt als das Töten in Selbstverteidigung. Im eindringlisten Moment muss der Vater entscheiden, ob er seine kleine, gerade von der eigenen Mutter infizierte Tochter erschießen soll oder lieber durch deren Biss sterben will. Dieser wird allerdings eher knapp in Szene gesetzt. Da kann der Film sich zwischen actionbetontem Genrekino und arthauslastigem Drama nicht recht entscheiden.
Genauso muss der Zuschauer bei dem koreanischen »The Veteran« erst eine Viertelstunde flauer Witzeleien über sich ergehen lassen, bevor die Thrillerhandlung um aufrechte Polizisten im Kampf gegen ein korruptes Familienimperium in Gang kommt.
Überstrapazierter Witz kennzeichnet auch den französisch-britischen »Moonwalkers«, der den Mythos des Regisseurs Stanley Kubrick mit der These kombiniert, dass im Falle der nicht gelingenden Mondlandung 1969 die Amerikaner der Öffentlichkeit eine filmische Inszenierung derselben präsentiert hätten (schon 1978 Thema von Peter Hyams' »Unternehmen Capricorn«). Für die soll hier Ron Perlman als CIA-Mitarbeiter in London Stanley Kubrick gewinnen, gerät stattdessen aber an lauter bekiffte Hippies. Was mit einer liebevollen Rekonstruktion der Zeit beginnt, läuft sich leider irgendwann tot, das finale Blutbad ist insofern kathartisch. Realistischer kommt Jeremy Saulniers »Green Room« daher, bei dem die Mitglieder einer Punkband in der amerikanischen Provinz Zeugen eines Mordes unter Neonazis werden und deshalb um ihr eigenes Leben fürchten müssen. Zur sich entfaltenden Hysterie auf engstem Raum liefert Patrick Stewart als Boss des Nazitrupps mit seiner kühl kalkulierenden Handlungsweise einen beredten Kontrast.
Die Bedrohung einer Familie von außen zeigt »Emelie«, wenn das Titel gebende Kindermädchen die Kinder zu merkwürdigen Spielen zunächst verführt und später zwingt und der Zuschauer aufgrund des Anfangs rätselt, worum es dabei geht – offenbar um mehr als eine einzelne Psychopathin.
Eindringlicher funktioniert die Zersetzung von Familien, wenn sie von innen kommt. In Robert Eggers' »The Witch« ist es der strenge Glaube einer puritanischen Farmersfamilie in Neuengland um 1630, der gegenseitiges Misstrauen, zunehmende Anklagen, Hysterie und Hexenwahn gebiert. In nüchternen, ruhigen Einstellungen erzählt, ist dies nicht nur ein bemerkenswerter Debütfilm, sondern auch einer der besten Schreckensfilme dieses Jahres, mit eindringlichen Darstellerleistungen von Erwachsenen und Kindern – schade, dass die deutsche Synchronfassung kein Äquivalent für die tiefe Stimme des Vaters gefunden hat.
Von außen kommt die Bedrohung zunächst im irischen »The Survivalist«: nach der globalen Zerstörung lebt ein junger Mann (seit nunmehr sieben Jahren, wie wir später erfahren) allein im Wald, Eindringlinge werden durch Tierfallen ferngehalten, ihre Leichname immerhin von ihm begraben. Als ein Gespann aus Mutter und Tochter auftaucht, nimmt er sie zunächst widerwillig auf, Essen für Sex lautet das Tauschgeschäft, das berechtigte Misstrauen bleibt: wer wird wen töten, um angesichts knapper werdenden Ressourcen selber zu überleben? Vom Vorspann an, der statt der üblichen dokumentarischen Endzeitbilder nur den Verlauf zweier Kurven zeigt, den der Weltbevölkerung und den der Ölproduktion, entfaltet Stephen Fingleton ein minimalistisches Meisterwerk, in dem die Geräusche der Natur die Musik ersetzen – der Film, bei dem ich es am meistern bedaure, dass er in Deutschland nicht ins Kino kommt. Dieses Bedauern gilt auch für den (ebenfalls in Irland gedrehten) »The Lobster«, die erste internationale Produktion des Griechen Yorgos Lanthimos, eine düstere, schwarzhumorige Zukunftsvision um zwanghafte Partnerwahl, hochkarätig besetzt. Ein kleiner engagierter Verleih hätte daraus hierzulande durchaus einen Arthouse-Erfolg zimmern können; dass der amerikanische Major, der ihn gleich als Home Entertainment-Premiere herausbringt, ihn dabei mit dem Untertitel "Hummer sind auch nur Menschen" versieht, spricht Bände.
Dafür hat es Ben Wheatley mit seinem fünften Film »High-Rise« in die deutschen Kinos geschafft (erst das zweite Mal nach »Sightseers«). Tom Hiddleston-Fans kommen definitiv auf ihre Kosten in dieser Verfilmung von J.G. Ballards negativer Utopie, die sich hier festmacht an einem vierzigstöckigen Hochhaus, das als Ungetüm aus Beton die Revolte der Bewohner unten gegen die Dekadenz derjenigen in den oberen Stockwerken geradezu unvermeidlich macht.
Fantasy Film Fest Nights 2016: am Wochenende 16./17. April noch in Hamburg und Frankfurt.
Ins Kino kommen »The Witch« (19.5.), »Green Room« (2.6.) und »High-Rise« (30.6.), Home Entertainment-Starts sind angekündigt für »The Lobster« (28.4.), »Pandemic« (3.5.), »The Survivalist« (1.6.), »Veteran (10.6.), »Moonwalkers« und »What We Become«.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns