Kritik zu Der Sohn von Rambow
Wie sieht das aus, wenn zwei kleine Jungs ihre eigene Version von Rambo drehen, auf VHS und mit selbst gemachten Stunts? Sehr gefährlich, höchst amüsant und ganz schön rührend
In wenigstens einem Punkt ist Will Proudfoot dem Rambo von Sylvester Stallone ganz ähnlich: Seine Leidensfähigkeit ist immens, und er wird auf alle erdenklichen Arten geschunden. Damit enden auch schon die Parallelen, denn Will ist ein naiver 11-Jähriger mit dünnen Ärmchen, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Seine Waffen sind anderer Natur: Er hat eine unbändige Fantasie. Und der Macht solch kindlicher Fantasie huldigt Garth Jennings in seinem temporeichen und sehr witzigen zweiten Spielfilm nach »Per Anhalter durch die Galaxis«.
Will wächst mit seiner Mutter im England der achtziger Jahre in einer strenggläubigen Gemeinde auf, die alle weltlichen Zerstreuungen ablehnt. Filme, Musik und Literatur sind für den Jungen tabu, an der Schule fristet er ein verschüchtertes Außenseiterdasein. Sein reiches inneres Leben findet in Myriaden von Zeichnungen und Daumenkinos Ausdruck.
Das krasse Gegenteil, doch ebenso ein Außenseiter, ist Lee Carter, der berüchtigte Schulrabauke, herausfordernd und ziemlich hemmungslos. Als Lee Will kennenlernt, sieht dies zunächst nicht nach dem Beginn einer Freundschaft aus. Lee erkennt sofort, wie er Will ausnutzen kann, und macht ihn zu seinem Stuntman – im improvisierten VHS-Remake von »Rambo«, das er beim nationalen Filmwettbewerb »Screen Test« einreichen will. Es folgen heftige Exerzitien körperlicher Art: Will springt von Dächern, stürzt sich Abhänge hinunter, lässt sich durch die Luft katapultieren. Der Nichtschwimmer springt sogar in einen Fluss und ertrinkt beinahe.
Doch er hat einen guten Grund, all dies zu ertragen: In der Garage von Lees Eltern hat er eine Raubkopie des echten »Rambo«-Films gesehen, und dieses »guilty pleasure« hat ihn wie ein Blitz getroffen. Die Kraft der Filmbilder lässt seine eigene Fantasie förmlich explodieren, seine Träume wild wuchern. Ein filmisches Schlüsselerlebnis, wie mancher es selbst als Kind erlebt hat: die noch wortlose Erkenntnis, wie sehr Filme das eigene Leben und die eigene Welt bereichern können.
Es ist ein Kunststück, wie »Son of Rambow« in kurzen Ausschnitten aus dem originalen Rambo und den ungläubigen Blicken des kleinen Jungen zugleich das Mythische und das Lächerliche der Figur von Sylvester Stallone spiegelt. Was sich dann auch in den Reenactment-Szenen fortsetzt, die Lee mit der klobigen Videokamera seines großen Bruders aufnimmt. Natürlich drängt sich hier der Vergleich mit Michel Gondrys »Be Kind Rewind« auf. Dessen nachgestellte Klassikerszenen waren für sich genommen ausgefeilter, inhaltlich aber weit weniger interessant als diese Gegenwelt zweier vaterloser Jungen, die sich selbst darin zu Helden und Rambo zu ihrem Ersatzvater machen.
Der Rabauke Lee erkennt schnell, dass er in Will mehr als einen willfährigen Crashtest-Dummy hat, und Wills Ideen prägen den Film mehr und mehr. Außerdem erhalten sie Unterstützung durch einen französischen Austauschschüler, den herrlich dandyhaften Didier Revol, der ebenfalls Gefallen an Wills Ideenreichtum findet und eine ganze Schar von weiteren Helfern im Schlepptau hat. Doch natürlich werden sowohl das Filmprojekt als auch Wills und Lees Freundschaft noch auf schwere und schwerste Proben gestellt, vor allem durch Wills Mutter, die den Sohn wieder auf den rechten Weg der Weltentsagung bringen will. Und bis zum wirklich anrühren- den Happy End fließt noch einiges an Blut, Schweiß, Tränen und sogar Erdöl.
Dies alles ist durchaus nach gängigen Mustern des Kinder- und Jugendfilms entwickelt, gewinnt aber eine wunderbare Dynamik auf verschiedenen Ebenen: als nostalgische Reise in die achtziger Jahre mit liebevoller Ausstattung und Songs von Duran Duran bis Cure, als schwungvolle bis haarsträubende Komödie, als Geschichte einer Befreiung aus geistiger Repression – und natürlich als Liebeserklärung an den Zauber des Films und des Filmemachens. Außerdem ist die Besetzung – allen voran die beiden Jungen – großartig.
Vielleicht ist Son of Rambow ein »Familienfilm« im besten Sinne, für fast alle Altersklassen und frei von Plattitüden. Und ist es nicht eine besonders charmante Ironie, dass ausgerechnet Rambo hier sozusagen posthum das Prädikat »pädagogisch wertvoll« erhält?
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