Kritik zu Das Urteil

Trailer englisch © 20th Century Fox

Grisham-Verfilmung mit Starbesetzung

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»Gerichtsurteile sind zu wichtig, als dass man sie den Geschworenen überlassen könnte«, sagt Gene Hackman in »Das Urteil« – und steht wie ein Dirigent vor Überwachungsmonitoren und Abhörgeräten. Der amerikanische Gerichtsfilm hat unter seiner konventionellen Thriller-Oberfläche immer schon eine Genealogie der Rechtspflege offen gelegt, die in ihrer Sensibilität für gesellschaftliche und realpolitische Tendenzen als Kommentar zur Lage der Nation sehr aufschlussreich sein konnte. Die Linie reicht von Henry Fondas aufrechtem Mr. Davis aus »Die zwölf Geschworenen«, das Musterbeispiel für den unumstößlichen Glauben an den amerikanischen Rechtsstaat, bis zu jenem von Gene Hackman verkörperten Rankin Fitch in »Das Urteil«. Als Kopf eines High-Tech-Expertenteams verkörpert Fitch den geschäftsmäßigen Zynismus der Profiteure eines »kapitalistisch gebeugten« Rechtssystems. Recht wird hier nur noch als Ware gehandelt.

Demgegenüber steht ein scheinbar unter den herrschenden Unrechtsverhältnissen gebeugter Dustin Hoffman, ein liberaler Gutmensch vom Schlage Henry Fondas, der sich noch seine schlecht sitzende Garderobe als strategischen Vorteil schön redet. Den Kommentar »hübscher Anzug« kann sich Rankin Fitch am Ende einer vor Zynismus und rechtschaffener Verzweiflung triefenden Grundsatzdebatte auf der Herrentoilette dann auch nicht verkneifen – und stellt damit gleichzeitig noch einmal die Machtverhältnisse klar.

So wird die Begegnung von Hackman und Hoffman an bezeichnendem Ort zur zentralen Szene des Films. Die maßgeschneiderten Anzüge, teuren Zigarren und knarzenden Ledersessel, Statussymbole einer korrupten Welt, stehen in »Das Urteil« stellvertretend für eine Rechtsordnung, der nur noch mit gleichsam unsauberen Mitteln beizukommen ist.

Hoffman spielt Wendell Rohr, der die Witwe Celeste Wood (Joanna Going) in einem Multi-Millionen-Dollar-Prozess gegen die US-Waffenindustrie als Ankläger vertreten soll. Woods Ehemann ist bei einem Amoklauf in seiner Firma erschossen worden. Rohrs Gegenspieler Rankin Fitch ist von der mächtigen Waffenlobby angeheuert worden, dafür zu sorgen, dass die Auswahl der Geschworenen zu ihren Gunsten ausfällt. Dieses Auswahlverfahren gehört zu den erkenntnisreichsten Momenten des Films. Fitchs Manipulationen hinter den Kulissen verschaffen dem Justizapparat eine luzide Transparenz. Auf Monitoren ruft er die Biographien einzelner Jurykandidaten ab und stellt sein imaginäres Dream Team zusammen – immer mit heißem Draht zum Vertreter der Verteidigung (Bruce Davison). Nichts wird dem Zufall überlassen, bis auch der letzte Verfechter von »Gun Control« unter lautem Protest aus dem Gerichtssaal abgeführt ist.

Die dichte Inszenierung verleiht dem Film eine Generalstabsmäßigkeit, die alle dramaturgischen Ungereimtheiten vergessen macht. Im Grunde funktioniert Das Urteil wie ein Verschwörungsthriller: Jede Bewegung findet unter dem Paradigma der Observation statt, die Rechtsfindung ist längst vom Recht auf Kontrolle unterminiert, und für den Zuschauer wird es von Minute zu Minute schwieriger, zwischen Strippenziehern und Marionetten zu unterscheiden. Denn mit Nick Easter (John Cusack) hat sich zudem ein Saboteur unter die Geschworenen geschmuggelt, der den Urteilsspruch der Jury an die höchstbietende Partei verkaufen will.

Dem Kampf Hackman-Hoffman-Cusack wird mehr Platz eingeräumt als der eigentlichen Gerichtsverhandlung – nicht ohne Grund. So wie die wichtigen juristischen Entscheidungen längst hinter den Kulissen gefällt werden, hat sich auch der Aktionsradius des Justizapparats verlagert. Außerhalb des Gerichtssaals fungiert Easters Freundin Marlee (Rachel Weisz) als Verbindungsperson zwischen den konkurrierenden Parteien. Die Vorstellung, dass jede externe Handlung direkten Einfluss auf die Abläufe im Gerichtssal nehmen könnte, hat sich in »Das Urteil« zu einer fatalen Kontrollphantasie entwickelt. Wenigstens die entlarvt Fleder am Ende noch als großen Irrtum.

Drehbuchautor Brian Koppelman hat die Vorlage von John Grisham an einem entscheidenden Punkt verändert. Aus dem Tabakkonzern wurde ein Waffenhersteller. Damit trifft »Das Urteil« im Fahrwasser von »Bowling for Columbine« beim amerikanischen Publikum einen empfindlichen Nerv. Doch diese Thematik scheint Fleder nur am Rande zu interessieren. Sein Film ergötzt sich vor allem an der Hilflosigkeit des amerikanischen Rechtssystems, das scheinbar nur der für sich nutzen kann, der das dreckigere Spiel spielt. Auf eine perverse Art kann man das natürlich unterhaltsam finden; letztlich ist dieser Zynismus aber nicht weniger reaktionär als die Zustände, die er anklagt.

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