Kritik zu Max Bill – Das absolute Augenmaß
In diesem Jahr wäre Max Bill 100 Jahre geworden. Seine letzte Lebensgefährtin, die Kunsthistorikerin Angela Thomas Schmid, erinnert sich in diesem Dokumentarfilm von Erich Schmid an ihr Leben mit dem Künstler
Reduktion hat ihn berühmt gemacht. Und seine Meisterschaft im Umgang mit dem Material. Granitskulpturen, glänzend poliert, so perfekt mit Gleichmaß und Form durchwirkt, als seien es Schleifen aus weichem Stoff. Nach mathematischen Ordnungsprinzipien in sich gedrehte und gefaltete Objekte, wie das mit dem heute zynisch klingenden Titel »Kontinuität« vor der Deutschen Bank in Frankfurt. Oder der Ulmer Hocker: ein aufs Allernötigste abgespecktes Möbel aus Brettern, die von einem Stück Besenstiel zusammengehalten werden. Man kann es als Sitzgelegenheit, Regal oder Tablett benutzen. Ursprünglich konzipiert für harte Nachkriegszeiten.
Max Bill, der am 7. Februar dieses Jahres 100 Jahre alt geworden wäre, war vielleicht der erste Maler, Bildhauer und Architekt, der sich auch auf hochmodernes Produktdesign verstand, bei dem der Inhalt die Ästhetik bestimmte. Der Bauhaus-Adept, der von der Schule in Dessau flog, hatte keine Dünkel gegenüber dem Alltäglichen, aber Skrupel gegenüber allem Elitären. Bill wollte keine Gelegenheit auslassen, die Umgebung des Menschen zu ästhetisieren, weil er an die therapeutischen Effekte des Schönen glaubte. Daran, dass man sich wohlfühlen muss, um besser, humaner zu werden. Nichts war ihm zu banal, er gestaltete Elektrostecker und Babywannen, Kinostühle und Wärmelampen.
Eigentlich ein dankbares Sujet für einen Dokumentarfilm. Eine kleine, rebellische Geschichte über die Dinge, ihre Form, ihr Wesen, ihre Produktion hätte es werden können. Eine kontroverse bildliche Auseinandersetzung mit dem Schweizer Künstler, der in einem Traktat notierte: »die konkrete kunst ist der einzige positive beitrag gegen konsumzwang, verschleiss und allgemeine aggressivität.«
Doch »Max Bill – Das absolute Augenmass« bleibt ein braver Kniefall vor dem Meister der Konkreten Kunst, eine gelegentlich peinlich wirkende Entäußerung einer privaten Liebe und Schwärmerei. Bills Minimalismus wird zur Tugend verklärt, von der die verschwenderische Welt von heute sich eine Scheibe abschneiden sollte. Bills letzte Lebensgefährtin Angela Thomas Schmid leitet den Zuschauer in diesem Film, bei dem ihr jetziger Mann Erich Schmid Regie führt, durch das Künstlerleben. Eine ungeheuer museale Führung ist das geworden. Mechanisch vorgetragene Anekdoten zu schwarz-weißen Fotos und Interviewaufzeichnungen, dazu Deutungen von irritierender Banalität: »Die Skulptur ist wie er. Sie hat viele Öffnungen und vieles, was diese Öffnungen schützt.« Die Kunsthistorikerin und der Filmemacher leben in Bills von ihm selbst errichteten Haus im schweizerischen Zumikon. Ihr privilegierter Zugang zu unbekannten Dokumenten, ihre intime Kenntnis der Person Bills führt jedoch keineswegs zu besonderen Ansichten oder anrührender Nähe. Der Erzählstil kommt so konventionell und befangen daher, dass er sich unfreiwillig in eklatanten Widerspruch zu Bills mutiger Modernität begibt. Es ist, als rücke das Objekt der Betrachtung vor lauter Distanzlosigkeit in zunehmende Unschärfe. Und wenn die Kamera am Tegeler Flughafen, an dem Bill 1994 zusammenbrach, viele Jahre später noch einmal nachfühlend zu Boden kippt und die Dame vom Check-In-Schalter von damals die Sterbeszene beschreibt, ist das leider nur eins: unangenehm.
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