Neun Kerzen für eine Hundertjährige
An die Vergangenheit denkt sie nicht gern zurück, denn dann nähme sie zu viel Raum ein. Ihre Produktionsfirma, deren Sitz in Neuilly sinnfälligerweise zwischen den großen Konzernen Gaumont und UGC liegt, betreibt sie noch immer. Den letzten Film produzierte sie vor fünf Jahren fürs Fernsehen. Da war Mag Bodard immerhin schon 95 Jahre alt.
Vor ein paar Tagen hat sie einen sehr runden Geburtstag begangen, den das Berliner Arsenal ab heute mit einer neunteiligen Retrospektive nachfeiert. Das Umschlagfoto auf dem Monatsprogramm ist betörend: Es zeigt Anouk Aimée in "Ein Abend... ein Zug" vom Belgier André Delvaux, den Bodard 1968 produzierte und den ich seit seiner deutschen Fernsehpremiere in den 70ern in guter, aber notgedrungen nicht ganz frischer Erinnerung habe. Sie ist eine der ungekrönten Heldinnen des französischen Kinos. Eigentlich hätte heute in der „Welt“ von mir eine Würdigung französischer Produzentinnen erscheinen müssen – es sind ungeheuer viele, auch ohne Quote -, aber den liefert die Redaktion hoffentlich bald nach. Nun erweise ich ihr also an dieser Stelle meine einigermaßen pünktliche Hommage.
Glücklicherweise denkt sie doch gelegentlich an die Vergangenheit. Vor ein paar Jahren erschien im französischen Verlag „la tour verte“ ein Band mit Interviews, die ihr jüngerer Kollege Philippe Martin mit ihr führte (Mag Bodard – Portrait d'une Productrice"). So etwas müsste hier zu Lande mal übersetzt und herausgebracht werden, anstatt der unzähligen wissenschaftlichen Arbeiten, die kein Mensch liest, die aber unseren Filmbuchmarkt überschwemmen. Es ist eine famose Vergangenheit, an die sie sich darin erinnert. Sie berichtet von ihrer Kindheit in Turin und Südfrankreich, von der deutschen Besatzung (als einer Zeit rauschafter Erlebnisse), der Ehe mit dem depressiven Publizisten und Diplomaten Lucien Bodard und einem bewegten Journalistenleben in Indochina und Hongkong. Schon während ihrer Ehe war sie mit dem Pressezaren Pierre Lazareff liiert, der ihr viele Türen zum Pariser Gesellschaftsparkett öffnete, den Beruf des Produzenten aber ausreden wollte.
Zum Film kam sie durch die Freundschaft zu Francoise Dorléac, mit der sie einen Vertrag über drei Filme abschloss, von denen der erste aber wohl eine Katastrophe war. Richtig Lust auf die Filmproduktion bekam sie, als sie Jacques Demys »Lola das Mädchen vom Hafen« sah. Mit »Die Regenschirme von Cherbourg« feierten sie in Cannes und aller Welt einen unglaublichen Triumph (die Goldene Palme behielt der Regisseur aber lieber selbst und Lazareff tröstete sie, in dem er bei Cartier ein Duplikat anfertigen ließ). Damit begann 1964, was man in französischen Filmkreisen gern die "années Bodard" nennt: ein magisches Jahrzehnt, in dem sie über vierzig Filme produzierte. Danach verlegte sie sich aufs Fernsehen, wo sie für rund Hundert Titel verantwortlich zeichnete. Die Produzentin verhalf Maurice Pialat mit »Nackte Kindheit« zum Durchbruch, machte Dorléacs Schwester Catherine Deneuve zum Star und war an der Entdeckung von Pierre Richard und Fanny Ardant beteiligt.
„Als ich Filme produzierte, kam es nicht auf das Geld an," erzählt sie Philippe Martin, "sondern darauf, wen man kannte". Das Geld kam damals zu zwei Dritteln von den Verleihern. »Die Regenschirme« finanzierte sie zu je einem Viertel durch Fördergelder, eine Beteiligung von Leo Kirch (tatsächlich!), der Fox und aus eigener Tasche. Lazareffs Warnung sollte sich durchaus bewahrheiten. Als Produzentin trafen sie Verluste zu 100 Prozent, an Gewinnen war sie nur zu 30 Prozent beteiligt. Die Profite ihrer großen Erfolge gingen meist an die Verleiher, nur an Michel Devilles »Benjamin« verdiente sie angeblich wirklich etwas (den Drehplan des Films stellte die empathiefähige Produzentin kurzerhand um, als ihre Hauptdarstellerin Deneuve vom tragischen Unfalltod ihrer Schwester erhielt).
Die Liste der Leute, die sie kannte, ist eindrucksvoll. Jean-Pierre Melville war der Nachbar ihres Landhauses, oft besuchte sie ihn, Alain Delon und das Ehepaar Pompidou zum Kartenspielen. Vom Ruhm Robert Bressons, mit dem sie drei Filme drehte, ließ sie sich nicht einschüchtern, sondern beschimpfte ihn vor versammelter Crew als verantwortungslos, weil er eine Einstellung 45mal wiederholen ließ. (Danach drehte er nie mehr als fünf Takes.) Zum Klüngel der Nouvelle Vague hielt sie Abstand. Truffaut war ihr stets zu ernst, Godard hingegen amüsierte sie (dennoch ist es ein kapitales Missverständnis, die Retrospektive ausgerechnet mit einem Film von ihm zu eröffnen). Stattdessen arbeitete sie lieber mit Agnès Varda und Alain Resnais. Zu ihm sagte sie übrigens Jahrzehnte später, nachdem sie »Das Leben ist ein Chanson« gesehen hatte: "Endlich drehen Sie einmal den Film eines jungen Mannes."
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