11. Russische Filmwoche Berlin
»Im Morgengrauen ist es noch still«
Auf der 11. Russischen Filmwoche in Berlin präsentiert sich das Kino Russlands in schwer nostalgischer Stimmung
Chefredakteur Genrich Franzowitsch hat eine Idee: Für die Jubiläumsnummer seiner Zeitung »Sowjetisches Estland« will er die Geburt des 400 000. Einwohners von Tallinn feiern. Also schickt er seinen Reporter Andrey auf die Geburtsstation, um das passende Baby – männlich, gesund, Elternpaar vollständig – auszusuchen. Die Überschrift hat er schon im Kopf: »Verurteilt zum Glück«. Denn Glück, das war sozusagen die einzige Option, die einem um 1970 in der Sowjetunion geborenen Kind offenstand.
In Stanislav Govorukhins »Konec prekrasnoj epokhi« (Das Ende der wunderbaren Ära) erscheint dieser staatlich verordnete Optimismus wie ein putziges Detail des an putzigen Details reichen sowjetischen Alltags. Gedreht in stylishem Schwarzweiß ist »Konec« die erste Verfilmung nach Sergej Dovlatov, einem in den 70er Jahren in die USA emigrierten Autor, dessen Romane man in der UdSSR nicht drucken wollte. Govorukhin übernimmt in seinem Film die herrlich witzige Lakonie von Dovlatovs Vorlage, aber für dessen tatsächlich große Verzweiflung am System findet er keine Bilder. Bei ihm wird zu wohliger Nostalgie – das bisschen Zensur und Heuchelei bei niedrigen Wodkapreisen und großer sozialer Gleichheit! – was eigentlich ein waches Erinnern an schlechte Zeiten sein müsste.
Mit seiner UdSSR-Nostalgie scheint Govorukhin ganz im Trend des neueren russischen Kinos zu liegen – wenn man das Programm der 11. Russischen Filmwoche in Berlin als repräsentativ ansehen möchte. Wobei die Nostalgie immer wieder andere Formen annimmt. Allein drei Filme griffen denn auch das große Thema des sowjetischen Kinos wieder auf: die Opfertaten des Zweiten Weltkriegs. Am originellsten war der Zugriff von Aleksander Mindadze, der in seinem »Lieber Hans, bester Pjotr« drei deutsche Ingenieure zeigt, die in der Zeit nach der Unterzeichnung des Ribbentropp-Stalin-Paktes in die Sowjetunion kommen. Das heute noch hochbrisante Thema der faschistisch-stalinistischen Zusammenarbeit wird bei Mindadze zu einem hochsymbolischen, aber letztlich theaterhaft-künstlich bleibenden Drama. Eine verpasste Chance. Konventioneller, dafür aber wirkungsvoller erwiesen sich die beiden »echten« Kriegsfilme im Programm. Und das, obwohl die titelgebende Schlacht in »Die Schlacht um Sewastopol« kaum vorkommt. Stattdessen zeigt der Film Szenen aus dem Leben der Scharfschützin Ludmila Pavlichenko, die nach über 300 bestätigten »Kills« 1942 in die USA fuhr, um dort für den amerikanischen Kriegseintritt zu werben. Ihre bald innige Freundschaft mit Eleanor Roosevelt bildet die Rahmenhandlung eines Melodramas über eine Frau, die einen Geliebten nach dem anderen verliert, um schließlich Heldin der Sowjetunion zu werden. So sehr der Film den traditionellen Aufopferungsmythen des Sowjet-Kinos folgt, verrät sich in der ausgedehnten Rolle von Eleanor Roosevelt doch auch die aktuelle russische Sehnsucht nach Anerkennung von außen.
Renat Davletjarovs Remake des Kriegsklassikers »Im Morgengrauen ist es noch still« dagegen ist frei von solchen Ansprüchen. Davletjarov (dessen Agentur Veranstalter der von Gazprom Germania geförderten Filmwoche ist) hat die berühmte Geschichte eines sich im Kampf mit den Deutschen opfernden Frauenbataillons behutsam modernisiert. Wo es 1972, als der Originalfilm entstand, noch keine Verweise auf Stalin-Opfer geben durfte, dichtet er nun zwei der Frauenfiguren eine Repressionsgeschichte an. Auch befreit er die Vorlage von ihrer »sowjetischen Putzigkeit«, dem aufdringlich-naiven Ton, folgt ihr dramaturgisch aber genau. Herauskommt ein packender, anrührender Kriegsthriller, der aufs große Schlachtgemälde verzichtet und dabei umso genauer sichtbar macht, wie man heute noch den Zweiten Weltkrieg in Russland empfindet: als Zeit übergroßer Opfer, in der auch die Schwächsten noch Heldentaten vollbrachten, einfach, weil es sein musste.
Aus den »modernen« Filmen (zwei davon von Davletjarovs Produktionsfirma), die oft nur bewährte Muster des Hollywoodkinos kopieren, ragte ausgerechnet ein Coming-of-Age-Film heraus. Handlungstechnisch unterschiedet sich »14+« kaum von seinen amerikanischen Vorbildern, aber mit authentischen Darstellern und einem feinen Gespür für Umgebung und Sprache ist dem Regisseur Andrej Zaitsev eine ungeheuer charmante kleine Komödie gelungen – in der sich wie nebenbei auch zeigt, dass Russland in einem Punkt tatsächlich libertärer ist als die USA: was – heterosexuellen – Teenagersex angeht.
Kommentare
im morgengrau ist es noch still.
ist mir zu einseitig Gedreht. Mein Großvater war im zweiten Krieg in russland und er hat es ein wenig anders erzählt wie es im Film immer Dargestellt wird. Er kam erst 1953 aus Gefangenschaft.
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