Kritik zu Across the River
Ein atmosphärisch dichter Geisterfilm aus den kalten, düsteren Wäldern um Friaul
Die Gegend östlich von Friaul, jenes Grenzgebiet zwischen Italien und Slowenien, ist vielleicht einer der letzten wilden Landstriche Mitteleuropas. Regisseur Lorenzo Bianchini, der selbst aus Friaul stammt, filmt diese raue Gegend wie das Ende der Welt im Herzen des Kontinents.
Ein Mann macht sich per Wohnmobil auf den Weg in diese vergessene, mysteriöse Landschaft. Der Mann ist ein Naturforscher, der die Wildtiere in der Gegend zählen und beobachten will. Wir erfahren nicht viel über den Mann, nur das, was wir sehen: sein Aussehen, sein Handeln. Er scheint ein taffer Kerl zu sein, ein abenteuerlicher Wissenschaftler, der nur schwer aus der Ruhe zu bringen ist. Noch ahnt er nicht, dass er sich bald in einem existenziellen Drama befinden wird, in dem nicht nur wilde Tiere eine Rolle spielen, sondern auch andere Bestien, blutrünstig und bemitleidenswert. Noch ahnt er nicht, der einsame Waldgänger, dass er mannigfaltige Grenzen überschritten hat: Grenzen zwischen gestern und heute, zwischen greifbarer Natur und dem Übersinnlichen, Grenzen sogar zwischen diesseits und jenseits.
Lorenzo Bianchini, der sich mit einer Handvoll Filmen bereits einen guten Ruf unter Kennern des Horrorgenres erworben hat, stellt die Konfrontation des Naturkundlers mit einer bizarren Geisterwelt als eine audiovisuelle Sinfonie dar. Durch suggestive Kamerabewegungen und eine ausgefeilte Montagetechnik baut er eine poetische, unheimliche Spannung auf. Mehr noch: Durch diese furiose Bildsprache in scope, die tatsächlich an Lucio Fulci und Mario Bava, die Meister des italienischen Fantasykinos, erinnert, bewirkt er einen alptraumhaften Sog, der den Zuschauer atemlos macht. Bianchinis Film ist kein giallo, das vorherrschende Subgenre des Italo-Horrors. Jedoch benutzt Bianchini die Suspense-Strategie und die Musik des giallo, um dem Genre des Geisterfilms neue Aspekte abzugewinnen. So ist Across the River niemals ein nostalgischer Horrorfilm der Zitate, sondern ein aktueller Schocker, der gekonnt eine genuin italienische Tradition mit Elementen des Naturhorrorfilms und des dokumentarisch angehauchten Found-Footage-Stils kombiniert.
Mit kleinen Überwachungskameras, die er für seine Tierbeobachtungen installiert hat, kommt der verlorene Held der Dämonenwelt auf die Spur, ins Zentrum des Grauens: in ein verlassenes Dorf mitten im Wald, indem seit langer Zeit nur noch Schuld, Wahnsinn und Tod hausen. Die Ruinen und der Wald werden zu einem allumfassenden Geisterraum. Bald wird der Forscher selbst zum Gegenstand der Untersuchung: als Mittelpunkt eines Experiments in Sachen Furcht und Tod. In schrecklichen und zugleich lyrischen Bildern beschreibt Bianchini Verfall und Ewigkeit – die Ewigkeit des Schmerzes. Was der Regisseur mit weißen, modrigen, für immer feuchtkalten Laken als morbidem Dekor anstellt, dies übertrifft jeden Gore-Effekt. Ein schöner, furchteinflößender Film für die Stunden nach Mitternacht.
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