Nachruf: Micheline Presle
Foto: Georges Biard (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Micheline_Presle_Cesars.jpg), „Micheline Presle Césars“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode
22. 8. 1922 – 21. 2. 2024
Ihre Augen irren sich nie«, frohlockt ihr Verehrer in »Das verlorene Paradies« von Abel Gance, mit dem sie 1940 zum Star wurde. Er ist nicht geblendet von deren Schönheit, sondern begreift sie als ein untrügliches Instrument ihres Urteilsvermögens. Micheline Presle war eine agile Augenspielerin, die im Wechsel von offenem und gesenktem Blick ihr Gegenüber ergründete. Ihre Charaktere behielten meist einen klaren Kopf, wenn sie die Verrücktheiten der Liebe durchlebten. Sie waren empfänglich für Romantik, aber ihr diskretes Dekolleté signalisierte keine unmittelbare Verfügbarkeit. Ihre Figuren kosteten die Freuden des Daseins aus – den Tanz, die Anmut eleganter Roben und köstliche Speisen, die sie mit beachtlichem Appetit verschlang –, bevor die Melodramen tragisch endeten. Dass Presle sich auch dramatische Rollen mit dem Instinkt der Komödiantin anverwandeln konnte, inspirierte so unterschiedliche Regisseure wie Jacques Becker, Joseph Losey, Elio Petri, Jacques Demy und Philippe de Broca.
Mit ihr ist die letzte Diva des französischen Films gestorben, deren Karriere in den 1930ern begann. Sie war weniger statuarisch als Michèle Morgan und fast so spritzig wie Danielle Darrieux. Ihr Starruhm war so groß, dass sie 1947 die Verfilmung des Skandalromans »Den Teufel im Leib« und den unbekannten Gérard Philipe als ihren Leinwandpartner durchsetzen konnte. Das Porträt der anstößigen Soldatengattin, die sich zögernd dem Ungestüm eines jüngeren Liebhabers anvertraut, wurde ihre Glanzrolle. Ein schönes Echo fand sie in der mondänen Femme fatale, die 1959 in »Die
tödliche Falle« den aufbrausenden Hardy Krüger mit exquisiter Zweideutigkeit in die Schranken weist.
Ende der 1940er ging sie dem französischen Kino für eine enttäuschende Karriere in den USA zeitweilig verloren. Aus der Ehe mit einem Produzenten ging immerhin ihre Tochter, die spätere Regisseurin Tonie Marshall, hervor. 1953 gelang ihr als Ärztin in »Die Liebe einer Frau«, die sich mit tatkräftigem Feingefühl in der bretonischen Provinz behauptet, ein Comeback. Die Nouvelle Vague nahm wenig Interesse an ihr, aber nachfolgende Regiegenerationen entdeckten ihr Temperament neu, so dass sie noch mit über 90 vor der Kamera glänzte.
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