Interview: Baltasar Kórmakur über »Touch«
Baltasar und Pálmi Kormákur am Set von »Touch« (2024). © Lilja Jonsdottir / Focus Features LLC
Vor zwanzig Jahren drehten Sie in Island den Film »A little trip to heaven«, der in den USA spielte. »Touch« spielt unter anderem in Japan und in London, letzteres nicht nur in der nahen Vergangenheit der Pandemie, sondern auch im Jahr 1968. Wie weit haben Sie das ebenfalls in Island nachgestellt? Der zentrale Schauplatz ist diesmal die Restaurantküche.
Ja, die haben wir in Island gebaut, aber einige andere Orte haben wir schon im heutigen London gefunden – da war uns Authentizität wichtig.
Aber London sieht mehr als fünfzig Jahre später doch anders aus?
Da mussten wir in der Tat einiges umdekorieren. Meiner Meinung nach übertreiben historische Filme das allerdings oft, das wirkt dann schon museal. Ich wollte das hier entspannter angehen.
Konnte Ihr Sohn Pálmi, der im historischen Teil des Films die Hauptrolle spielt, mit dem Jahr 1968 überhaupt irgendetwas anfangen?
Durchaus – die jungen Leute haben heute ein größeres Interesse an der Vergangenheit als wir oft annehmen. Sie begegnen ihr in den Künsten, in der Musik, im Kino.
Und wie sieht es mit Ihrer eigenen Erinnerung an diese Zeit aus? Haben Sie Ihr Gedächtnis durch Fotos oder Bewegtbilder stimuliert?
Ja, ich habe Fotobände angeschaut, vor allem aber habe ich Dokumentarfilme angesehen um ein Gefühl für diese Zeit zu bekommen. Dabei ist mir ein bestimmter Braunton aufgefallen, der seinerzeit ziemlich dominant war. Es ging mir dabei in erster Linie um die visuelle Palette, so erinnere ich mich an einen Kriminalfilm, der nicht besonders gut war, aber in dieser Hinsicht einiges hergab.
Wie war es, Ihren eigenen Sohn zu inszenieren?
Das war eine interessante Erfahrung, nicht zuletzt weil er kein Schauspieler ist – im Gegensatz zu meinen anderen beiden Söhnen. Es war meine Casting Direktorin, die mir diesen Vorschlag machte. Pálmi studiert Bildende Kunst, kam zum Vorsprechen und alle waren begeistert von ihm. Ich muss dazu sagen, dass er von allen meinen Söhnen der Schwierigste ist – wir sind sehr verschieden und er tendiert dazu, nicht das zu tun, was ich ihm sage, das hat in den letzten Jahren eher zugenommen. Insofern war das eine Herausforderung für ihn, weil beim Film natürlich der Regisseur Anweisungen gibt. Es war aber auch eine Herausforderung für mich, als Vater seinem erwachsenen Sohn zu sagen, wie er etwas machen solle. Es hätte aber dem Film selber völlig widersprochen, wenn ich ihn in eine Situation gebracht hätte, in der er nicht sein wollte. Da sah ich mich eher in meiner Verantwortung als Vater denn als Filmregisseur. Als ich den Produzenten seine Probeaufnahmen zeigte, verschwieg ich ihnen erst einmal, dass er mein Sohn ist.
Ich habe mich gefreut, in Ihrem Film Ruth Sheen wiederzusehen, die ich besonders wegen ihrer Arbeit für Mike Leigh schätze. Wie haben Sie sie für diese eher kleine Rolle als Zimmerwirtin Ihres Protagonisten gewinnen können? War das schwierig?
Nein, sie war ganz offen dafür, nachdem sie das Drehbuch gelesen hatte. Beim Casting mache ich ungern Kompromisse, auch die Besetzung der kleinen Rolle des Hotelangestellten, der den Protagonisten in der Gegenwart der Pandemie aus dem Hotel weghaben will und dabei zwischen freundlich und beharrlich changiert, war mir wichtig – diese kleinen humorvollen Momente. Ich habe mir dafür auch einige Filme von Jacques Tati wiederangesehen, weil mich mein Protagonist im Alter an dessen Figur erinnerte: jemand, der sich in der modernen Welt nicht heimisch fühlt.
Da haben Sie etwas zu der Romanvorlage hinzugefügt?
Im Roman war es angelegt, aber ich habe in der Tat die Figur des Protagonisten im Alter etwas aufgewertet, weil ich der Überzeugung war, dass die Zuschauer sich mit ihm ebenso identifizieren müssten wie mit seinem jungen alter ego – anderenfalls würde der Film nicht funktionieren.
Haben Sie die beiden Darsteller des Protagonisten zusammengebracht, damit sie eine ähnliche Gestik entwickeln konnten?
Auch das war etwas, was ich nicht übermäßig verkomplizieren wollte. Zumindest was eine Szene anbelangt, war es aber nicht ganz einfach: mein Sohn ist Linkshänder und in den Rückblenden sieht man das ja, weil er viel in der Küche hantiert. Auf der anderen Seite hatte Egill Ólafsson, der Darsteller alten Kristófer, eine Parkinson-Erkrankung. In der Szene in dem Restaurant in Japan musste er gleichzeitig seinen Dialog in einer fremden Sprache sprechen und mit Stäbchen essen. Das war eine Herausforderung, aber er hat sie bewältigt.
Dies ist nicht der erste Ihrer Filme, der auf einer literarischen Vorlage basiert. Dem Presseheft war zu entnehmen, dass Sie bei dem Drehbuch eng mit dem Romanautor Ólafur Jóhann Ólafsson zusammengearbeitet haben. War das eine neue Erfahrung für Sie?
Ja, und zwar eine angenehme. Bei einem früheren Versuch dagegen funktionierte das überhaupt nicht, am Ende kam der Film nicht zustande. Hier dagegen war es so, dass der Autor auch selber schon Drehbücher verfasst hatte. Er hatte keine prinzipiellen Bedenken gegen Änderungswünsche meinerseits. Wir haben sie dann einzeln durchgesprochen und überlegt, wie wir es jeweils umsetzen. Film gehorcht nun einmal anderen Gesetzen als Literatur, das hat er verstanden.
War er vielleicht auch deshalb kommunikativer, weil er nicht immer Schriftsteller war, sondern davor etwas ganz anderes gemacht hat – er war CEO von Sony.
Da hat sicher eine Rolle gespielt, allerdings mehr im Hinblick darauf, dass er in dieser Position sehr viel Zeit in Japan verbracht hat. Dies war übrigens der erste Roman, den er nach seiner Zeit als CEO verfasst hat.
Sie haben mehrere Filme für amerikanische Studios gedreht. Könnte man sagen, Sie sind der erste, den man fragt, wenn es um das Thema Überleben geht? Zuletzt drehten Sie in Afrika »Beast« mit Idris Elba, zuvor »Adrift« mit Shailene Woodley und »Everest« mit einer All-Star-Cast.
Ja, das ist wohl so (lacht). Als ich anfing, Filme zu machen, sah ich mich ganz sicher nicht als Spezialisten für Überlebens-Filme – mein Debüt »101 Reykjavík« war im Jahr 2000 eine schwarze Komödie. Zuvor hatte ich am Nationaltheater 'Hamlet' inszeniert und in Dänemark Tschechow. Dann nahm meine Filmkarriere an Fahrt auf und ich bekam das Angebot, einen Film jenseits des Atlantiks zu machen, rauszukommen aus einem Land, das nur 400000 Einwohner hat. Als ich »101 Reykjavík« drehte, nannte mich ein Kritiker 'Almodovar on Ice', nach »The Sea« ein anderer den 'isländischen Bergman', das sind alles Etiketten, denen man nicht entgehen kann, aber sie haben keinen Einfluss auf das, was ich mache. Wenn mir ein Stoff angeboten wird, lese ich ihn und frage mich, habe ich Lust das zu machen? Ich folge da meinem Instinkt anstatt eine Karriere in Hollywood zu planen.
Haben Sie »Touch« in den USA vor dem dortigen Kinostart vorgestellt und war man von dem Film überrascht, weil man Sie dort nur als den Regisseur von »Everest« und »Beast« kannte?
»Touch« wurde dort gut aufgenommen, aber er spricht natürlich ein anderes Publikum als meine US-Produktionen.
Krimifans, die die deutschen Fernsehprogramme verfolgen, kennen Sie als Macher von Serien wie »Trapped«. Viele skandinavische Krimiserien werden ja vom ZDF koproduziert. Sehen Sie für den Nordic noir angesichts der vielen Produktionen eine Chance für die Zukunft?
Nur, wenn er sich weiterentwickelt. Genrefilme sterben nicht aus, man muss nur immer wieder neue Aspekte finden. Ich selber habe gerade als Produzent eine Serie in Planung, die versucht neues Territorium zu erkunden.
Jeder Film, in dem ein Song des frühverstorbenen britischen Singer-Songwriters Nick Drake vorkommt, hat bei mir etwas gut. Wie sind Sie auf ihn gekommen?
Ich suchte nach etwas aus der Zeit, das noch nicht zu Tode gespielt wurde. Nick Drake wurde mir sowohl vom Komponisten der Filmmusik als auch von meiner Freundin vorgeschlagen.
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