Fantasy Film Fest Nights 2024
»Cobweb« (2023). © Cho Won-jin
Nach dem Festival ist vor dem Festival, darauf können sich die Besucher des Fantasy Film Fests seit Jahren verlassen: den zweitägigen Fantasy Film Fest White Nights im Januar folgen die viertägigen FFF Nights im April und schließlich die achttägige Hauptausgabe des FFF im September. Aber natürlich gibt es auch die Berührungspunkte mit anderen Filmfestivals: Berlinale-Besucher konnten diesmal bei den Nights vier dort erstaufgeführte Filme nachholen oder noch einmal sehen, während das in diesem Monat anstehende Festival von Cannes wieder Nachschub für das Festival im September und sogar noch für Januar und April verspricht – mehrere der jetzt auf dem Programm stehenden Filme erlebten tatsächlich vor elf Monaten in Cannes ihre Weltpremiere.
Einer von ihnen ist der südkoreanische »Cobweb«, eine selbstironische Hommage an das Filmemachen, in ihren melodramatischen Verwicklungen am Set und vor der Kamera Francois Truffauts »Die amerikanische Nacht« nicht unähnlich. Der Regisseur (gespielt von dem immer verlässlichen Song Kang-ho, der in »Parasite« in der Rolle des Vaters glänzte) hat ein Trauma, das mit seinem künstlerischen Vorbild zu tun hat, an dem er sich abarbeitet mit seinem neuen Film, einem Aufsteiger- und Familiendrama, das trotz künstlerischer Schwarzweißbilder den Melo-Charakter der Geschichte nicht verbergen kann, aber am Ende als antikommunistisches Drama durch die Zensur gehen soll – die Dreharbeiten sind angesiedelt im Jahr 1979, zur Zeit der Militärdiktatur. Ob diese amüsante Mischung aus dramatischen und komischen Momenten in Deutschland ein Kinostart vergönnt ist oder ob es nur eine Auswertung im Home Entertainment geben wird, hat der Rechteinhaber Plaion noch nicht entschieden – für mich definitiv eine Empfehlung für die große Leinwand.
Das gilt auch für den zweiten koreanischen Beitrag. »Concrete Utopia« lässt sich gleichermaßen als post doomsday- wie als Katastrophenfilm einordnen. Wenn zu Beginn die Hochhäuser Seouls durch ein Erdbeben einstürzen und im Boden versinken, dann genügt dem Film dafür eine kurze Sequenz, der Rest der Erzählung gilt dem Leben nach der Katastrophe. Auf wundersame Weise ist ein Hochhauskomplex stehen geblieben, dessen Bewohner sich alsbald mit den Begehrlichkeiten Überlebender von außerhalb konfrontiert sehen: soll man die knappen Ressourcen mit ihnen teilen, ihnen Unterschlupfgewähren oder aber sie in die winterliche Kälte zurückschicken und das Haus zu einer Festung umbauen? Individuelle Hilfeversuche weichen bald verordneter Kontrolle, die in einigen Individuen das Schlimmste zum Vorschein bringt. Dabei lässt der Film – Südkoreas Einreichung für den letzten Auslands-Oscar – genug Raum für die komplexen Porträts einzelner Figuren. »Concrete Utopia« geht unter die Haut, ein Kinostart wäre wünschenswert.
Unterhaltsame Routine dominiert dagegen den dritten koreanischen Beitrag, dem bei der Berlinale sogar ein Roter Teppich ausgerollt wurde: der mittlerweile vierte Film der »Roundup«-Reihe um den schlagkräftigen Polizisten Ma führt ihn und sein Team diesmal nach Thailand, wo sie mit der Errichtung eines eigenen (falschen) Spielcasinos eine Gangsterbande ausheben wollen, die der Polizei im Umgang mit Bitcoins einiges voraushat. »The Roundup: Punishment« funktioniert in seiner Mischung aus interessanten Figuren, schlagkräftiger Action, Komik und Spannung. Darf man sagen: eine intelligentere Version der Bud Spencer-Filme?
Seine Komik siedelt Bruno Dumont in »The Empire« irgendwo zwischen absurd und albern an. Für letzteres ist dabei jenes Polizistenduo zuständig, das wir schon aus seinen beiden Miniserien um die Figur des »QuinQuin« kennen. Der Kontrast zwischen der flachen Küstenlandschaft und gigantischen Raumschiffen in ausgefallenem Design, mit denen sich zwei außerirdische Rassen anschicken, in Erdnähe ihre finale Auseinandersetzung auszutragen, produziert einen eigenartigen Reiz, dem Fans traditioneller Weltraumschlachten vermutlich eher nicht erliegen werden.
Anders als an solchen Genrewechseln arbeitet sich der französische »Meanwhile on Earth« (ein weiterer Berlinale-Film) von Jérémy Clapin eher zwischen Hoffnung und Verzweiflung ab: nachdem ihr älterer Bruder Franck bei einer Weltraummission im All verschollen ist, wird Elsa von einer außerirdischen Macht kontaktiert, die für die Rückkehr Francks die Opferung anderer Menschen fordert, deren Körper sie benötigen, um ihren sterbenden Planeten verlassen zu können. Was Elsa, die als Altenpflegerin arbeitet, aber eigentlich eine fantasiebegabte Zeichnerin ist, vor ein großes Dilemma stellt: kann sie für das Leben ihres geliebten Bruders andere Menschen töten? In seinen besten Momenten erinnert der Film an Jonathan Glazers »Under the Skin«, funktioniert aber auch in jenen animierten Szenen, die Erinnerungsbilder der Protagonistin zeigen.
Was hier eher als Möglichkeit gezeigt wird, die Übernahme fremder Körper, führt Joe Lynchs »Suitable Flesh« (ab September digital verfügbar) auf drastische Weise vor, wenn eine Therapeutin wiederholt mit einem jungen Mann den Körper tauscht. Wie das mit der sexuellen Anziehungskraft zusammenhängt, die der Junge auf sie ausübt, und welche größere Macht dahinter steht, wird erst am Ende vollständig sichtbar. Wer als Zuschauer ein deja vu-Erlebnis hat, den bringt die Mitwirkung von Barbara Crampton schon auf die richtige Spur, was durch den Nachspann dreifach bestätigt wird: das Drehbuch stammt von Dennis Paoli, die Vorlage von H.P. Lovecraft und der Film ist dem verstorbenen Stuart Gordon gewidmet – ein großes blutiges Vergnügen.
Zur Sache geht es auch in der Action-Orgie »Boy kills world«, die mit bemerkenswerten Martial Arts-Kampfszenen aufwartet. Dafür ist das Drehbuch um einen taubstummen jungen Mann (Bill Skarsgard, der teuflische Clown in den »Es«-Filmen) mehr als schlicht ausgefallen: er will die Tyrannin töten, die einst seine Familie auslöschte und ihre Untertanen jetzt mit Trash-TV verblödet. Die pathetische Off-Stimme des Protagonisten wirkt unfreiwillig komisch, ebenso das chargierende Spiel der Bösen. So ist am Ende das Bemerkenswerteste an dem Film, dass es die deutschen Macher, darunter Regisseur Moritz Mohr, Ko-Autor Arend Remmers und Actiondesigner Dawid Szatarski damit bis nach Hollywood geschafft haben (gedreht wurde in Südafrika). Der Film hat bereits einen deutschen Rechteinhaber – ob der ihn in die Kinos bringt, wird wohl vom Erfolg des bevorstehenden US-Kinostarts abhängen.
Nicht ganz so ernst nimmt seine Martial Arts-Einlagen Rainer Sarnets Film »The Invisible Fight«. Protagonist der estländischen Produktion ist ein junger Mann, der von einer Existenz als Kung-Fu-Mönch träumt, dafür aber so einige Hürden zu überwinden hat – Futter für Fans der siebziger Jahre.
Vampire und der Teufel höchstpersönlich
Neben Estland war mit der Türkei ein weiteres ungewöhnliches Produktionsland für Genrekino der fantastischen Art vertreten, auch wenn »The Funeral« von Orcun Behram nicht der erste dortige Film dieser Gattung ist. Das Motiv vom sklavisch ergebenen Helfer eines Vampirs, in »Renfield« zuletzt eher zeitgemäß und mit komischen Untertönen ausgeleuchtet, wird hier als Drama inszeniert, wenn der Leichenwagenfahrer Cemal der dringenden Bitte seines Chefs nachkommt, den Leichnam einer jungen Frau zu deren Familie in die Provinz zu überführen. Dass die Frau eine lebende Tote ist und als Vampir einen ungeheuren Blutdurst besitzt, hat man Cemal allerdings verschwiegen. So wird er nun in die Rolle ihres Versorgers gedrängt und agiert dabei zunehmend skrupelloser. Die Begegnung mit der Familie der jungen Frau am Ende erweist sich dann noch als zusätzliche Herausforderung. Zärtlich-verhalten dagegen erzählt Romain de Saint-Blanquat seine Vampirgeschichte in »Bitten«, eher auf Verführung und Lust am Abenteuer als auf Gewalt setzend, wenn die Tochter des Hausmeisters zusammen mit einer katholischen Klosterschülerin 1967 für eine Nacht ausbricht zu einem Kostümfest irgendwo in einer Villa in den Wäldern. Genremotive werden zitiert und gebrochen, in erster Linie ist dies ein Film über die Herausforderungen der Pubertät.
Pubertäre Sehnsüchte spielen auch eine große Rolle bei dem Campingausflug in die Wüste, den eine Teenagergruppe im Animationsfilm »The Weird Kidz« von Zach Passero unternimmt. Die Möglichkeiten der Animation werden jedenfalls gut genutzt für das Monströse, das die Protagonisten dort erwartet. Ein Gruppenabenteuer steht ebenfalls im Mittelpunkt des Kinderfilms »Riddle of Fire« von Weston Razooli, in dem das zwölfjährige Brüderpaar samt ihrer Freundin ein verrücktes Abenteuer in den Wäldern zu bestehen hat, das sich daraus entspinnt, dass ihnen im Supermarkt ein Mann das letzte Ei vor der Nase wegschnappt. Das aber brauchen sie um einem Blaubeerkuchen zu backen, den die bettlägerige Mutter der Beiden einfordert: nur dafür wird sie das Passwort für den Fernseher herausrücken. Und das benötigt das Trio, um die gerade beschaffte neue Spielkonsole zu erproben. Nach dem was sie – in der Begegnung mit Hexen und einer jungen Magierin – im Verlauf der Geschichte durchmachen, sollte man allerdings annehmen, dass das Couch-Abenteuer des Computerspiels am Ende seinen Reiz verloren hat...
Der Abschlussfilm »Late Night with the Devil« (Kinostart: 6. Juni) wartete dann noch mit einem Knaller auf, dem Teufel höchstpersönlich. Die als Found Footage getarnte Erzählung stellt einen Late Show-Moderator (exzellent: David Dastmalchian) in den Mittelpunkt, der an Halloween 1977 die Zuschauer seiner Show und das landesweite Publikum vor dem Fernsehen mit ganz besonderen Gästen einen so unvergesslichen wie schockierenden Abend bescheren will. Doch der läuft mehr und mehr aus dem Ruder, was der – von dem australischen Brüderpaar Cameron und Colin Caines geschriebene und inszenierte – Film mit sorgfältigem Spannungsaufbau und zeitgenössischem Flair nachhaltig in Szene setzt.
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