Berlinale: »Henry Fonda for President«
»Henry Fonda for President« (2024). © Michael Palm / Mischief Films, Medea Film Factory
Kino, Leben, Zeitgeschichte: Alexander Horwaths großartiger Essayfilm »Henry Fonda for President« lief im Forums-Programm und ist jetzt noch einmal zu sehen
Einmal wäre es fast wahr geworden: als eine verfahrene Situation bei der Kandidatenaufstellung für das Amt des Präsidenten der USA dies als eine Traumlösung erscheinen ließ: »Henry Fonda for President«, diese Parole gab eine Amerikanerin namens Maude Findlay aus, ließ ein entsprechendes Wahlplakat drucken und lud den Angesprochenen in ihr Haus ein. Leider unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, der Überraschungseffekt verfing bei ihm nicht. Am Ende war auch dies – im Wahljahr (und Centennial) 1976 – nur eine Fiktion, die Doppelfolge »Maude's Mood« der US-Sitcom »Maude« (mit der später als eines der »Golden Girls« bekannt gewordenen Bea Arthur), in der Henry Fonda einen kurzen Gastauftritt als er selber hatte. Aber sie zeigt doch, zu welch einer Ikone der Schauspieler im Lauf seines Lebens geworden war, prädestiniert die Rolle des US-Präsidenten mit verlorengegangener (Nixon/Watergate) Würde und Integrität zu versehen. Fonda verkörperte den realen Präsidenten Abraham Lincoln (in John Fords »Young Mr. Lincoln«) ebenso wie einige fiktive, in Klassikern wie Sidney Lumets »Fail Safe« (Angriffsziel Moskau) und Nichtklassikern wie Ronald Neames »Meteor«. Dafür qualifiziert hatte er sich nicht zuletzt durch die Rolle eines Geschworenen, dem es durch beharrliche Überzeugungsarbeit gelingt, seine elf Kollegen zur Revision ihres ursprünglichen Urteils (»schuldig!«) zu bewegen (1957 in Sidney Lumets »Twelve Angry Men«/»Die 12 Geschworenen«).
Wie eng aber auch Henry Fondas eigene Lebensgeschichte (und die seiner Vorfahren) mit Ereignissen und Schauplätzen der amerikanischen Demokratie verknüpft war, dürfte nicht jedem Cineasten bekannt sein. Alexander Horwaths Filmessay »Henry Fonda for President« richtet seinen Blick auf diese Zusammenhänge.
Horwath, Filmhistoriker, ehemaliger Leiter der Viennale und des Österreichischen Filmmuseums, verknüpft in seiner dreistündigen Arbeit verschiedene Stränge: die Rollen Henry Fondas (und wie er sie mit dem ihm eigenen Understatement, mit Gesten und Intonationen füllte), seine Lebensgeschichte, die politische Kultur der Nation bis hin zu deren heutiger Ausprägung im Karnevalesken, etwa der Nachstellung des Gunfights am O.K. Corral in Tombstone als Touristenattraktion. Den amerikanischen Mythos vom »Go West, young man!« konterkariert er dabei durch wiederholt durch die gegenläufige Perspektive der Ureinwohner des Landes.
Quellen sind die Filme selber, Fotos und Texte vergangener Zeiten, Bewegtbilder aus dem heutigen Amerika – und nicht zuletzt das letzte große Interview, das Henry Fonda 1981, 13 Monate vor seinem Tod, dem Journalisten und Autor Lawrence Grobel gewährte.
Darin äußert er sich kritisch über seinen ehemaligen Kollegen und späteren Präsidenten Ronald Reagan (Horwath kontrastiert eine Ansprache von Fonda als »Young Mr. Lincoln« mit Reagans Antrittsrede als Präsident), ebenso über Richard Nixon. Er erinnert sich an die Arbeit mit Sergio Leone bei »Spiel mir das Lied vom Tod«, der nicht wollte, dass er in der Schurkenrolle sein Gesicht hinter einem Bart versteckte – er wollte ihn glattrasiert, so wie die Zuschauer ihn kannten und deshalb umso mehr erschreckten, dass dieser integre Mann nun auf die Seite des Bösen gewechselt hatte.
Horwaths Ausgangspunkt ist ein persönlicher: die intensive Begegnung mit Fonda-Filmen in der Pariser Cinematheque im Sommer 1980, bei der ersten Auslandsreise des damals Fünfzehnjährigen mit seinen Eltern. Dass parallel die Dreharbeiten zu Fondas letztem Film »Am goldenen See« stattfanden, mit dem seine Tochter Jane (die darin seine Tochter spielte, den Film aber auch initiiert und produziert hatte) eine Aussöhnung mit dem Vater in Angriff nahm, dessen Verhältnis zu seinen rebellierenden Kindern Peter und Jane lange Jahre schwierig gewesen war, führt die zweite Ebene des Films ein, dass Ronald Reagan zur selben Zeit seine Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur annimmt, eine weitere.
Dokumentarische Filme über das Kino schaffen es selten in den regulären Kinoverleih, vorrangig wegen der zahlreichen Filmausschnitte und der damit zusammenhängenden Frage nach den Rechten daran. Da wird es diesem Film nicht anders gehen, man darf aber davon ausgehen, dass andere Festivals ihn zeigen werden und auch engagierte Spielstellen (gerne ergänzt um eine Reihe der hier vorkommenden Filme selber).
Wer im Vorspann liest, dass es sich um eine Koproduktion mit arte und dem ZDF handelt, sollte sich nicht zu früh freuen: laut Presseheft wird es sich dabei nur um eine jener berüchtigten arte-Fassungen handeln, die abendfüllende Dokumentationen auf die arte-Standardlänge von 52 Minuten eindampfen. Wie diese Fassung des 187minütigen Originals aussehen wird, vermag ich mir lieber nicht auszumalen.
Der Film läuft – in Anwesenheit von Alexander Horwath – noch einmal im Kino Arsenal, am Donnerstag, den 29.2. um 19 Uhr
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