38. Il Cinema Ritrovato Bologna

Convention der Cinephilie
»Die sieben Samurai« im Open-Air-Kino auf der Piazza Maggiore

»Die sieben Samurai« im Open-Air-Kino auf der Piazza Maggiore

Die 38. Ausgabe von »Il Cinema Ritrovato« war wieder ein Fest für Cineasten

Ein wenig ähnelt der Besuch beim Festival »Il Cinema Ritrovato« in Bologna einer Convention. Anstelle diverser Marvel-Stars finden sich auf den Panels Regisseur*innen wie Alice Rohrwacher, Costa-Gavras, Darren Aronofsky und Volker Schlöndorff ein. Das Äquivalent zu den Comic-Purist*innen anderer Conventions bilden hier Enthusiast*innen des Analogen, die sich über jeden Kratzer auf einer Kopie als Offenbarung des Materiellen freuen. Aber genau solche Spezialisierungen machen den besonderen Reiz von Fankulturen aus, und als Besucher*in lässt man sich schnell von der Freude anstecken. 

Frei von den Premierenzwängen anderer Festivals wurden auch 2024 aufwendig restaurierte Klassiker auf die Leinwand gebracht, ebenso wie Vertreter des unabhängigen Cinemalibero. Unter den kuriosen Ausgrabungen und ausgefallenen Raritäten fand sich eine eigens aus dem Archiv der Academy in Los Angeles eingeflogene Technicolor-Kopie von Steven Spielbergs »Der weiße Hai« (1975). Sie zählt zu den Letzten ihrer Art und vermittelt einen Eindruck von der in Kodak-Eastman-Color gefertigten ursprünglichen Farbpalette des Films.

Zugänge zur Filmgeschichte eröffneten sehr persönliche Einführungen und Vorträge. So erklärten die Regisseure Wim Wenders und Alexander Payne aus unterschiedlichen Perspektiven die Faszination von John Fords »Der Schwarze Falke« (1956). Roger Spottiswoode kommentierte als Zeitzeuge die Auseinandersetzungen mit dem Studio um die elegische ursprüngliche Schnittfassung von Sam Peckinpahs Spätwestern »Pat Garrett jagt Billy the Kid« (1973), und Damien Chazelle erläuterte den Einfluss von Fellinis »La Dolce Vita« (1960) auf »Babylon« (2022), sein unterschätztes schrilles Sittengemälde der Stummfilmzeit, das in Bologna endlich das richtige, aufgeschlossene Publikum fand.

Vergangene Epochen des Kinos vergegenwärtigten Filmrollen aus internationalen Archiven mit Musikbegleitung, während Schauspieler*innen wie Marlene Dietrich und Delphine Seyrig sowie nicht jeden Tag gezeigte Regisseur*innen wie Anatole Litvak, Pietro Germi, Kozaburo Yoshimura und Gustaf Molander mit eigenen Reihen gewürdigt wurden. Der filmhistorische Diskurs war in allen Sektionen ausgesprochen präsent. 

Kaum ein anderes Festival beherrscht den Spagat zwischen Filmwissenschaft und Publi­kumsfestival derart einladend und elegant wie das »Cinema Ritrovato«. Die neue Dokumentation »Made in England« (2024), die mit prominenter Unterstützung durch Martin Scorsese Einblicke in das Werk von ­Michael Powell und Emeric Pressburger gibt, war gemeinsam mit einer restaurierten Fassung von Powells »Peeping Tom« (1960) zu sehen. In der Sektion zu Farbe und 16-mm-Filmen lief als faszinierende Ausgrabung der Kurzfilm Pink Narcissus von 1971. Der vom Set-Designer James Bidgood inszenierte exzentrische Queer-Cinema-Experimentalfilm scheint in seiner zwischen Camp und schillernden Oberflächenreizen delirierenden Ästhetik nahezu die filmische Postmoderne vorwegzunehmen. 

In einigen Fällen eröffneten sich ungewöhnliche Blickwinkel auch durch die Zusammenstellung, etwa in der »Dark Heimat«-Reihe. Die deutschen und österreichischen Schwarz-Weiß-Filme aus den späten 1940er Jahren akzentuierten Ambivalenzen und Grauzonen. Nachdem die Genreerzählung »Die Frau am Weg« (1948) die Deportationszüge der Nazis am Rande der Handlung einbezog, wurden die skeptischen Brüche dieser Übergangsphase kurze Zeit später mit den farbenfrohen Simulakren des »Schwarzwaldmädel« (1950) übertüncht. 

Zu den Hauptattraktionen gehörten wie gewohnt die Open-Air-Vorführungen auf der malerischen Piazza Maggiore im Herzen der Stadt: von Akira Kurosawas »Die sieben Samurai« (1954) über Francis Ford Coppolas »Der Dialog« (1974) bis hin zu Milos Formans »Amadeus« (1984). Als zur Aufführung des Stummfilms »The Wind« (1928) eben dieser atmosphärisch über den Platz pfiff, wurde schnell klar: Das sogenannte Post-Cinema ist glücklicherweise gerade anderswo.

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