Nachruf: Margit Carstensen
Margit Carstensen
29. 2. 1940 – 1. 6. 2023
Sie muss sie gekannt haben, diese krank gemachten und krank machenden Frauen in einer Bürgerwelt, die gerade wieder einmal unterging, damals in den Siebzigerjahren, und, wie immer, in ihrem Untergang den größten äußeren und inneren Schaden anrichtete. Margit Carstensen war keineswegs ein »Geschöpf« von Rainer Werner Fassbinder; sein filmischer Kosmos gab ihr vielmehr den idealen Rahmen zur Exploration ihrer Täterin-/Opfer-Frauen, die sie mit dieser ungeheuren und schonungslosen Präzision erforschte. Seit ihrer Zeit am Hamburger Schauspielhaus und dann in Bremen, wo sie Fassbinder kennenlernte, war Margit Carstensen das Gegenteil einer »Gebrauchsschauspielerin«; jede neue Rolle diente ihr dazu, sich selbst (nach ihren eigenen Worten) »aufzuschließen«.
Dass ihre erste Fassbinder-Rolle die Mörderin Geesche Gottfried war, ließe sich als Fügung verstehen, aber damit beginnt erst die Arbeit an einem Projekt zur Frau, die außer sich ist. Es genügt, die Eingangsszene von »Chinesisches Roulette« zu sehen, wie sie sich am Fenster eine Zigarette anzündet und kurz über das Gesicht streift: Gefangene und Wärterin des Gefängnisses zugleich. Übersetzung von Gefühl in Ritual.
Mit »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« begann recht eigentlich Margit Carstensens cineastische Karriere, nicht allein, aber doch entschieden von der Fassbinder-Werkgruppe geprägt, ein Jahrzehnt lang, von »Niklashauser Fahrt« (1970) bis »Berlin Alexanderplatz« (1980), war sie eine Zentralfigur in einer melodramatischen Versuchsanordnung: Der unauflösbare Widerspruch von Macht und Liebe. Die Macht, sagt Hanna Schygulla in dieser Welt, scheitert an der Liebe. Und Margit Carstensen sagt: Die Liebe scheitert an der Macht. Daher ist Margit Carstensen so scharf konturiert wie Hanna Schygulla wahrhaft weich gezeichnet ist.
Carstensen also war die Vertreterin oder »Abfallprodukt«, wie man es nimmt, eines alten deutschen Bürgertums, dessen letzte Zuckungen Rainer Werner Fassbinder so brillant wie besessen dokumentierte. Aber wie Fassbinders Community war auch sie dann dazu prädestiniert, das Macht- und Geschlechtsgefüge dieses Bürgertums als Farce zu wiederholen.
Sie war jedenfalls »die Harte« in den 13 Fassbinder-Filmen. Und sie musste auch die härtesten Sätze sagen im Fassbinder-Kosmos. »Der Mensch ist schlimm. Letztlich erträgt er alles. Alles. Der Mensch ist hart und brutal und jeder ist ihm austauschbar. Jeder.« Dieser doppelte Nachdruck ist es, was Carstensen ausmacht, eine Unnachgiebigkeit, eine Konsequenz in der Zerstörung und in der Selbstzerstörung. Es ist ein Satz, der so teutonisch scharf klingt, wie ein Messer, das durch lebendes Fleisch schneidet, dass ihn auch französische und englische Kolleg*innen im Original zitieren, und Margit Carstensen schärft ihn noch einmal.
Ihre Härte ist nicht natürlich, sondern semantisch. Alles an ihr will Zeichen werden, auch Zeichen des Verlorenen. Auch Frausein ist nicht nur eine soziale, sondern eine semantische Konstruktion. Noch im Exzess der Gefühle sehen wir einen Menschen, der sich zusammennimmt, der das innere Chaos zur äußeren Maske verdichtet. Mehr als ein Jahrzehnt später dreht Christoph Schlingensief diesen Prozess um. Das Chaos bricht aus der Maske wieder hervor, und in »Die 120 Tage von Bottrop« verfällt Carstensen noch heftiger als all die anderen Ex-Fassbinder-Darsteller der Dämonologie, die sie eigentlich bannen wollten. In ihrer letzten Filmarbeit, dem Abschiedstatort »Wofür es sich zu leben lohnt« (2016 von Aelrun Goette mit etlichen Fassbinder-Schauspielern gedreht), spielt sie noch einmal das Scheitern in Macht und Liebe durch und der finale Opfertod – Feuer auf Wasser – ist auch ein Abschied von einem schauspielerischen Diskursprojekt. Die Sache der Margit Carstensen hat sich erledigt. Was kann man Schrecklicheres sagen?
»Fast alle Frauen hassen Petra von Kant«, hat Rainer Werner Fassbinder einst gemeint. Und weil er sich in ihr ja auch selbst gemeint hat, beschreibt er damit ein Erschrecken vor der dunklen Seite der Seele. Jeder Seele.
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