Interview: Nina Hoss über ihre Rolle in der Serie »Jack Ryan«
Nina Hoss in »Jack Ryan« (Staffel 3, 2022). © Attila Szvacsek/Prime Video
Frau Hoss, in der dritten Staffel von »Jack Ryan« verkörpern Sie die Präsidentin von Tschechien. Die weist einmal auf die Abhängigkeit ihres Landes von Russland hinsichtlich der Energieversorgung hin. Das ist ein ganz aktueller Satz, aber ich nehme an, die Dreharbeiten waren im März 2022 schon beendet. Wurde der möglicherweise später hinzugefügt?
Nein, abgedreht hatten wir im Sommer 2021. Nichts ist nachträglich hinzugefügt oder verändert worden. Das ist ja das erstaunliche an diesen Serien, das war auch schon bei »Homeland« so: irgendetwas muss wohl in der Luft gehangen haben. Es ist schon erstaunlich, wie nah das der Realität kommt und tatsächlich eine absolute Fiktion ist. Was ich diesem Fall interessant fand, sind die verschiedenen Kräfte, die in den einzelnen Ländern wirken und die Politik beeinflussen. Gerade wenn man gewählt werden muss, wie ich in meiner Rolle, muss man in den Entscheidungen immer im Sinne seines Volkes denken und trotzdem seiner Intuition folgen. Das ist dieser Balanceakt in der Politik, darüber konnte ich viel nachdenken, auch im Nachhinein.
Wie ist das Ganze zu Ihnen gekommen? Haben Sie Agenten jenseits von Deutschland?
Ja, ich habe Agenten in England, Frankreich und den USA. Über diese Kanäle kam das zustande.
Bekamen Sie gleich das Drehbuch oder aber erst einmal eine Information zu der Rolle?
Das war etwas ungewöhnlich: ich habe ein Tape gemacht, Eigentlich hätte es eine tschechische Darstellerin sein müssen, weil es auch auf Tschechisch gedreht werden sollte, wenn ich mich recht erinnere. Aber als ich das eingeschickt habe, war relativ schnell klar, dass sie großes Interesse haben. Dann habe ich erst einmal heftig Tschechisch gelernt. Aber irgendwann merkten sie in Amerika, dass wenn wir alle unsere Sprachen gesprochen hätten, zu wenig Englisch im Film gesprochen worden wäre. Und da das eine große Serie für den amerikanischen Markt ist, war das wohl zu viel des Guten, vermute ich. So wurde kurz vorher umgeschwenkt und wir konnten unsere Szenen auf Englisch drehen.
Das Tape enthielt verschiedene zentrale Szenen für Ihre Figur?
Ja, aber ohne, dass man wusste, wer diese Figur ist. Ich wusste nur, sie ist eine Politikerin. Es gab eine Szene, die eher privater Natur war und eine, die sie als Politikerin zeigte, das war die Pressekonferenz mit ihrem russischen Kollegen zu Beginn der Serie.
Gab es darüber hinaus so etwas wie eine Biografie der Figur oder mussten Sie die selber erarbeiten aufgrund der Drehbuchlektüre?
Ich habe mir vieles selber erschlossen, aber dann fängt man ja an, sich mit den Regisseuren zu treffen, auch über die Kostümproben kommt einem diese Figur näher. Ich habe viel mit Peter Guinness gesprochen, der meinen Vater verkörpert, auch mit Wendell Pierce. Da tauscht man Informationen aus, aber es geht auch um eine private Ebene. Ich habe mir eine Biografie gebaut und mich auch an verschiedenen Politikerinnen orientiert. Ich wollte, dass sie eine gute Politikerin ist, eine, die mit Herzblut Politik macht und auch wirklich daran glaubt, dass man damit etwas verändern und zum Guten wenden kann. Sie trifft ihre Entscheidungen relativ unabhängig und hängt ihr Fähnchen nicht nach dem Wind. Das fand ich schon mal höchst beeindruckend.
Ihr Verhalten bei Ihrer letzten Begegnung mit ihrem Vater ist ja 'nicht ganz ohne' (wir wollen hier nicht spoilern), war aber für Sie nachvollziehbar?
Sie wird im Lauf der Geschichte ja vor harte Entscheidungen gestellt. Sie trifft ihre Entscheidungen emotional, aber im Sinne ihres Landes (und in diesem Fall auch im Sinne der Weltbevölkerung). Das fand ich nachvollziehbar, dass, wenn die Entscheidungen so groß sind, der Druck gewaltig ist. Aber ich möchte jetzt nicht wissen, was das später mit ihr macht.
Wer ist denn für einen Schauspieler bei einer Serie der Ansprechpartner? Regisseure gab es hier für die acht Episoden insgesamt drei, Autoren fünf und natürlich den Showrunner.
Das war hier tatsächlich nicht ganz klar. Zu Beginn gab es Proben mit den Schauspielern und dem Regisseur der ersten Episode. Wie bei »Homeland« war es ja auch wohltuend, dass man eine Eigenverantwortung trägt für diese Figur, eben weil man immer unterschiedlichen RegisseurInnen begegnet. Tatsächlich war es auch so, dass die beiden Produzenten immer vor Ort waren. Die sind sehr gut in der Geschichte verankert, denn manchmal hat man eine Szene und fragt sich, was weiß meine Figur denn jetzt schon?
Es wird ja auch nicht in chronologischer Folge gedreht...
Ich schreibe mir das immer als Plan auf, was die Abläufe der Figur sind: was weiß sie in dieser Szene? Denn in vier Monaten Drehzeit vergisst man schon mal einiges.
Gab es für die Studioszenen einen zentralen Ort?
Ja, in Budapest. Dort ging man gewissermaßen vom Oval Office in Washington in den Kreml in mein Office in Prag. Die Größe war schon beeindruckend. Auch Außenaufnahmen wurden dort gedreht, das Haus im Wald war tatsächlich in Ungarn auf dem Land.
Innerhalb dieser vier Monate müssen Sie immer bereit stehen, auch wenn mal der Drehplan geändert wird oder Nachaufnahmen notwendig sind?
Ja, man ist für diesen Zeitraum gebucht.
»Homeland« liegt ja schon sieben Jahre zurück. Gab es in der Arbeitsweise große Unterschiede zu dieser Serie?
Der größte Unterschied war: während bei »Homeland« noch gedreht wurde an der Staffel, wurde die erste Episode der Staffel schon ausgestrahlt. Es war sehr nahe dran an den Geschehnissen in der Realität, damit spielte diese Serie ja auch besonders. Das war natürlich auch aufregend, weil man merkte, dass man die Figuren auf dem Weg entwickeln kann und damit auch die Autoren im Writers Room inspiriert, je nachdem, wie man ihre Texte interpretiert. Das war damals wohl sehr speziell für »Homeland«, hier war das anders, das war schon fertig geschrieben.
Kam Ihre Mitwirkung in »Homeland« zustande, weil diese Staffel damals in Berlin gedreht wurde?
Nein, das kam, weil der Showrunner mich in »A Most Wanted Man« gesehen hatte, als er an der Figur der BND-Agentin Astrid schrieb. Er engagierte mich für das Ende der vierten Staffel und deutete schon an, dass die nachfolgende fünfte Staffel in Berlin spielen würde.
Todd Field, in dessen Film »Tár« Sie im Frühjahr zu sehen sein werden, hat erzählt, dass Sie nach der Lektüre des Drehbuches gleich gesagt hätten, es gäbe da einen Punkt, da würden Sie Ihre Figur anders sehen. Das hat ihn offenbar sehr beeindruckt. Ist das etwas, was Sie immer gleich machen oder wären Sie da einer Großproduktion wie »Jack Ryan« zurückhaltender?
Ich denke immer im Sinne der Geschichte und ich möchte so viele Nuancen über eine Figur herausfinden wie möglich. Da man den Platz seiner Figur innerhalb der Geschichte untersucht, kommt man manchmal auf mehr oder mehr Details für die Figur als der Autor, der ja das große Ganze im Blick hat. Große Regisseure und Regisseurinnen haben davor auch keine Angst, sondern suchen im Gegenteil danach, weil es ja nur reicher werden kann. Es sind ja alles Anlagen, die kannst Du so oder so interpretieren – unschuldig oder wissend. Und daraus folgte für mich, dass meine Figur Sharon am Ende der Geschichte noch etwas mehr bieten müsste. Daran haben Todd und Cate Blanchett und ich dann gearbeitet. Ich muss nicht dauernd etwas verändern, aber wenn es mir etwas auffällt, dann sage ich es auch. Mein Beruf heißt nicht »Anweisungen folgen«.
Bei »Tár« gab es ja vorher ein table reading... Wie war das bei »Jack Ryan«? Wieviel Zeit hatten Sie vorher zu proben?
Da hatten wir schon Zeit. Wir hatten nicht immer alle Schauspieler zusammen vor Ort. Deswegen konnte man jetzt keine Ensembleprobe machen. Aber wir hatten schon eine Woche Zeit lang Proben. Da waren die Personen dabei, die um meine Figur herum sind.
Kommt es bei einer Produktion dieser Größenordnung auch vor, dass ein Regisseur am Drehort sagt, das gefällt mir noch nicht, da würde ich gerne etwas ändern – oder ist das bei solchen Produktionen unmöglich?
Doch, das kommt schon vor. Deshalb ist es auch gut, dass die Produzenten vor Ort sind, weil man dann schnell solche Entscheidungen treffen kann. Das ist schon ein Unterschied, dass die Regisseure nicht die Macht haben, das eigenmächtig zu verändern, sondern sich dann besprechen müssen, weil das einfach ein zu großer Apparat ist. Wir haben einmal etwas gedreht, das haben sie sich am Abend angeguckt und gesagt, das geht so nicht, das müssen wir noch mal machen. Das passierte dann am nächsten Tag.
Es gibt da bei Ihnen also keine Berührungsängste, wenn man vom Autorenfilm herkommt: dass die eigene Individualität bei einer Großproduktion auf der Strecke bleibt?
Nein, mir macht das Spaß. Das ist einfach ein anderes Biest. Vielleicht liegt auch daran, dass ich vom Theater komme und deshalb gelernt habe, mit ganz unterschiedlichen Umständen und Art und Weisen zu arbeiten, umzugehen. Ich weiß, wie beim Autorenfilm gearbeitet wird und wie bei einer Serie. Ich bin da nicht enttäuscht – man muss einfach auf einen anderen Zug aufspringen – der Zug macht mir aber auch Spaß. Das streckt sich über Monate, es gibt auch eine größere Flexibilität.
Wird bei Engagements in ausländischen Filmen oft Bezug genommen auf Filme, in denen die Filmemacher*innen Sie gesehen haben und deshalb gerne mit Ihnen arbeiten wollen?
Ja, da werden oft »Barbara« und »Phoenix« von Christian Petzold genannt, aber auch »Das Vorspiel« und »Schwesterlein« – die haben viele in Amerika gesehen, »Homeland« natürlich auch.
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