Fantasy Filmfest 2022
»Employee of the Month« (2021). © Fantasy Filmfest
Die Filme des Fantasy Film Fests stellen die Identifikationswünsche des Zuschauers auf eine harte Probe
Auch am Genrekino ziehen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen nicht vorüber. Zumal das Erzählen hier Über- und Zuspitzungen erlaubt, die im Realismus des Mainstreamkinos nicht unbedingt denkbar sind. Entsprechend ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich Frauen, die sich ihre Unterdrückung nicht länger gefallen lassen und irgendwann den Punkt erreichen, an dem sie zurückschlagen, als Thema in den Filmen des diesjährigen Fantasy Film Festes gleich mehrfach auftaucht.
Dabei setzt der belgische Film »Employee of the Month« eher auf einen satirischen Zugriff: seine Protagonistin ist eine Angestellte, die bei Beförderungen und Lohnerhöhungen immer wieder vertröstet wird, obwohl ganz offensichtlich ist, dass ihre männlichen Kollegen sehr viele weniger leisten als sie. Der tödliche Unfall ihres Chefs in dem Moment, als er zudringlich wird, setzt bei Inés eine Kettenreaktion in Gang, senkt ihre Hemmschwelle, auch die, andere Nervensägen und Peiniger kurzerhand aus dem Weg zu räumen, wobei ihr der Zufall immer wieder genauso zur Hilfe kommt wie die Tatsache, dass in dieser Firma chemische Reinigungsmittel hergestellt werden. Bei ihrem Rachefeldzug weiß sie den Zuschauer ganz auf ihrer Seite. Was bei dem anfangs ebenfalls komödiantisch angelegten australischen Film »Sissy« nicht der Fall ist. Erzählt aus der Perspektive von Celia, die als Sissy ihren eigenen Videokanal betreibt, wo sie ihren Followern Lebenshilferatschläge gibt, wird jetzt die Beziehung zu ihrer besten Freundin aus Kindertagen wieder belebt, nachdem sich die beiden durch Zufall im Supermarkt begegnet sind. Allerdings ist an dem folgenden langen Wochenende auch eine andere Frau anwesend, die behauptet, als Kind hätte Sissy sie umbringen wollen. Hält man das anfangs für puren Neid, so muss der Zuschauer langsam begreifen, dass Sissy nicht die freundliche Unschuld ist, für die man sie bis dahin gehalten hat – bis hin zu einem bitterbösen Ende.
Auch im spanischen »Piggy« wird der Wunsch des Zuschauers nach Identifikation mit der Protagonistin auf eine harte Probe gestellt. Metzgerstochter Sara wird wegen ihrer Körperfülle von ihren Klassenkameradinnen regelmäßig gehänselt, meist mit »Oink!Oink«-Geräuschen. Als ein Serienmörder ein erstes Opfer in dem kleinen Ort hinterlässt und ihre drei Klassenkameradinnen kurz darauf verschwinden, kann man Sara verstehen, dass sie ihr Wissen gegenüber der Polizei erst einmal für sich behält. Als der Killer sich dann allerdings als ihr Retter vor einer Gruppe aufdringlicher Jungs erweist und meint, sie dafür zu seiner Komplizin machen zu können, spitzt sich die Situation zu und Sara muss eine Entscheidung treffen.
Es ist dieses Spiel mit der Perspektive, aus der nicht wenige Filme des Programms ihre Spannung beziehen. Sind ihre Tante und deren neuer Mann, bei denen die fünfzehnjährige Sini im österreichischen »Family Dinner« die Woche vor Ostern verbringt, tatsächlich darauf aus, ihren Sohn zu mästen um ihn schließlich zu verspeisen – oder imaginiert Sini, die sich mit ihrer eigenen Körperfülle schwer tut, das nur? Und hat der Arzt des kleinen Ortes, in den der siebenjährige Jules und seine Mutter gerade gezogen sind, im französischen »Ogre«, Ähnliches vor? Ist der vor einiger Zeit verschwundene Junge sein Opfer geworden und soll Jules das nächste sein? Verwandelt sich der Arzt des Nachts in eine Bestie, die die Wartezeit auf das nächste Menschenopfer damit verbringt, die Schafe der Bauern zu reißen? Und hat das holländische Ehepaar, das im dänischen »Speak no evil« die dänische Familie im Urlaub kennen gelernt hat, wirklich böse Absichten, als sie sie und ihren Sohn für ein Wochenende zu sich einladen? Sind sie nicht nur ein wenig freier in ihrer Lebensauffassung, vom Geist der Hippie-Ära geprägt – selbst wenn das leicht in Grenzverletzungen umschlägt? Aber hat deren stummer Sohn wirklich die Misshandlungen des Vaters verdient? Von allen bösen Enden, auf die Filme zusteuern können, ist dies wahrlich das schockierendste.
Dagegen ist der belgische »Megalomaniac« dann fast schon leichter zu ertragen, weil er von Anfang an auf düstere Bilder setzt und sich gar nicht erst bemüht, einen Hoffnungsschimmer aufkommen zu lassen. Felix und Martha, die in einer verfallenen Villa leben, sind die Kinder eines berüchtigten Serienkillers. Während Felix dessen Tätigkeit fortsetzt, schuftet Martha in einer Fabrik, wo sie eines Tages von ihren Kollegen vergewaltigt wird. Als sie die einige Monate später, hochschwanger, zu einem Abendessen einlädt, ist absehbar, was passieren wird.
Während der italienische »Freaks Out« als zeitgenössische Version von »Freaks« beginnt, wenn er drei Zirkusartisten anno 1943 in Rom gegen die Nazis setzt (repräsentiert von Franz Rogowski als psychopathischem Nazioffizier, der in ihnen die Wunderwaffe sieht, um den Krieg zu gewinnen), dabei diesen schönen Ansatz allerdings am Ende in einer Materialschlacht untergehen lässt, und der französische »Year of the Shark« nie zu einer richtigen Balance von Ernsthaftigkeit und Parodie findet in seiner »Jaws«-Variante, bietet der koreanische Abschlussfilm »Emergency Declaration« eine Neuauflage des klassischen Katastrophenfilms, als ein durchgedrehter Wissenschaftler sich anschickt, Insassen und Besatzung eines Flugzeugs mit einem Virus auszulöschen – und lässt am Ende auch noch einmal moralische Erwägungen einfließen: kann man das Flugzeug landen lassen, wenn das Gegenmittel dem mutierten Virus nicht gewachsen ist und damit eine ungleich größere Zahl von Opfern riskieren?
Nach soviel Hoffnungslosigkeit sieht man den amerikanischen »After Yang« umso lieber. Der zweite Filme des bildenden Künstlers Kogonada erzählt von einem Ehepaar (Colin Farrell verkörpert mit großer Zurückhaltung den aus der Bahn geworfenem Vater), das vor dem Dilemma steht, seiner kleinen Tochter zu erklären, dass ihr Halbbruder ein »Technosapiens«, ein hochentwickelter Android, ist, leider defekt und schließlich nicht mehr zu reparieren.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns