29. Filmfest Oldenburg
»The Black Guelph« (2022)
Auch wenn es unter den deutschen Filmfestivals immer noch zu wenig im Licht der Öffentlichkeit steht (und etwa in einem gerade erschienenen Buch zum Thema nicht vorkommt), war das Filmfest in Oldenburg auch in seinem 29. Jahr wieder eine Reise wert, hatte unter den nichtdeutschen Filmen drei Weltpremieren und sieben internationale Premieren im Programm, sowie eine besonders große Anzahl von Gästen.
Düstere Familiengeschichten bildeten dabei so etwas wie einen Schwerpunkt, allen voran der irische »The Black Guelph« (Weltpremiere). Regisseur John Connors verknüpft die Geschichte seines Protagonisten, der seine Tätigkeit als Boss einer lokalen Drogendealergang mit seiner Existenz als Ehemann und Vater einer kleinen Tochter in Einklang zu bringen sucht, mit der Geschichte seines von ihm entfremdeten Vaters, der zurückkehrt, um die Geistlichen, die ihn einst missbraucht hatten, anzuklagen. Dafür gab es am Ende den vom Publikum verliehenen German Independence Award, während Hauptdarsteller Graham Early von der Jury mit dem Seymour Cassel Award für die beste schauspielerische Leistung ausgezeichnet wurde, ebenso wie Cyndie Lundy für José María Cabrals »Parsley«, einer noch beklemmenderen Familiengeschichte. Als hochschwangere junge Frau wird sie von ihrem Ehemann getrennt und flieht durch die Nacht in Richtung Grenze, als die Dominikanische Regierung 1937 zum Genozid an den im Lande lebenden Haitianern aufruft.
Ausgezeichnet (mit dem 'Spirit of Cinema Award') wurde auch Darkhan Tulegenovs »Brothers« aus Kasachstan, die Geschichte zweier ungleicher Brüder, die sich gemeinsam auf die Suche nach ihrem – ihnen unbekannten – Vater machen. Überhaupt hatte das Festival in diesem Jahr viele Filme aus Ländern zu bieten, die im deutschen Kinoangebot kaum zu finden sind, so Baatar Batsukhs »Aberrance« aus der Mongolei, der geschickt Motive des film noir und des Serienkillerfilms variierte (Audacity Award) oder Vincent M'bayas & Ravi Karmalkers »Chaguo«, in dem ein junges Paar in Kenia zwischen die Fronten ihrer verfeindeten Familien und zweier Kandidaten im aktuellen Wahlkampf gerät. Stefanos Thai dagegen skizziert in »We don't dance for nothing« den Alltag philippinischer Hausangestellter in Hongkong, die sich von den Mühen der Woche bei einem ausgelassenen Tanzvergnügen am Wochenende erholen. Einen Ausbruch aus dem Alltag schildert auch der französische »Rodeo« von Lola Quiveron, in dem eine junge Frau, deren Leidenschaft dem Motorradfahren gehört, sich einer Männerclique anschließt, deren Existenz zwischen Geschwindigkeitsrausch und kriminellen Handlungen oszilliert.
Nicht alles war düster in Oldenburg: in Colin Wests »Linoleum« versucht ein Familienvater in Suburbia, konfrontiert mit einer Kette surrealer Ereignisse, endlich seinen Kindheitstraum vom Astronauten zu verwirklichen, in Maureen Baroochas »The Prank« brilliert Rita Moreno als strenge Physiklehrerin, die möglicherweise tatsächlich eine Leiche in ihrem Keller verborgen hat, wie auf Rache gesinnte Schüler ihr mit dem Titel gebenden 'prank' unterstellen. Ein passender Beitrag zur Reihe der Mitternachtsfilme, unter denen auch Mark Polishs »Murmur« (Weltpremiere) gefiel, gedreht mit den Smartphones der Jugendlichen, die hier zu einem Abenteuertrip in die Wälder aufbrechen, der allerdings böse endet.
Einen guten Griff hatte das Filmfest erneut mit Retrospektive und Hommage getan. Die Retrospektive galt Peter und John Hyams. Von Peter Hyams, (der in diesem Jahr seinen 79. Geburtstag feierte) liefen mit »Capricorn One«, »Outland« und »Narrrow Margin« drei kompakte Thriller, von seinem Sohn John, von dem in Oldenburg bereits in zwei früheren Jahrgängen neue Filme liefen und der diesmal anwesend war, sechs Filme.
Ein knapp einstündiges Online-Gespräch der beiden, zu dem Peter aus den USA zugeschaltet war, bot eine schöne Ergänzung, u.a. erzählte er, welche Hürden er zu überwinden hatte, bis er bei seinen Regiearbeiten auch selber für die Kameraarbeit verantwortlich zeichnen durfte.
John Hyams ist hierzulande weitgehend unbekannt geblieben, weil kein einziger seiner Filme in den Kinos lief. Mit dem Dokumentarfilm »Smashing Machine« über einen Mixed-Martial-Arts-Kämpfer hatte Hyams 2002 auf sich aufmerksam gemacht, danach vertraute man ihm die Regie des dritten und vierten Films der »Universal Soldier«-Reihe an. »Universal Soldier: Regeneration« beginnt mit einer furiosen Actionsequenz und setzt dann ein verstärktes Augenmerk auf die Figuren. Ganz großes Actionkino bot die Fortsetzung »Universal Soldier: Day of Reckoning«. Wer 2012 das Glück hatte, ihn im Rahmen des Fantasy Film Fests auf der großen Leinwand sehen zu können, wird dieses Erlebnis kaum vergessen.
Im Gespräch zeigte sich John Hyams als Filmemacher, der an seiner Unabhängigkeit interessiert ist. Seinen vorangegangenen Film »Alone« drehte er – als Variante von Spielbergs »Duel« – weitgehend nur mit zwei Darstellern, sein neuer Film »Sick«, verfasst von »Scream«-Autor Kevin Williamson, erwies sich als clevere Variante des Franchises, auch hier mit Figuren, die mehr Interesse erheischen als sonst üblich bei Slasherfilmen und ein weiteres Beispiel dafür, dass es bei Hyams weniger um die Darstellung von Gewalt als um deren Auswirkungen geht.
Eines der ganz großen Filmerlebnisse in Oldenburg war allerdings Hyams' Debüt »One Dog Day«, 1997 an mehreren Wochenenden auf den Straßen New Yorks im Guerilla-Stil gedreht, einschließlich einer eindrucksvollen Sequenz, in der der Protagonist von einer Brücke auf die Plane eines LKW springt. Die Story vom Mann auf der Flucht vor zwei Geldeintreibern der Mafia wird immer wieder aufgebrochen von kleinen Nebenhandlungen mit anderen Figuren, erzählt als schwarze Komödie mit Anleihen beim absurden Theater und geprägt von einer Energie, die von Anfang bis Ende nicht nachlässt. Damals galt der Malerei noch das Interesse von Hyams, der als Vorbilder für diesen Schwarzweißfilm Jim Jarmusch und Richard Linklater nannte.
Die Hommage galt der Schauspielerin Andrea Rau, mit zwei Filmen unter der Regie von Ulrich Schamoni und zwei internationalen Arbeiten. Mit Schamoni arbeitete sie nach ihrem Leinwanddebüt in »Quartett im Bett« 1968 drei Jahre später bei »Eins« erneut zusammen, einem improvisierten Roadmovie, das in jedem Augenblick die Leichtigkeit und Spontaneität der Zeit atmet. Eine Wiederentdeckung, auch im Hinblick auf ihre Rolle – die Emanzipation einer Frauenfigur – findet sich auch im spanischen »It's Nothing Mama just a Game« (1974), in dem David Hemmings ihr Partner war. Dass sich dabei unter ihren langen Haaren wieder die aparte Bubikopffrisur verbirgt, die so etwas wie ihr Markenzeichen war, fungiert hier auch als Symbol für ihre Befreiung aus den Zwängen männlicher Dominanz.
Eine besondere Attraktion war in diesem Jahr ein Live-Konzert der Siam Sinfonietta. Das thailändische Jugendsinfonieorchester, das im vergangenen Jahr eine Rolle im Abschlussfilm »Maestro« spielte und damals auch den Abend stilvoll untermalte, und sein Leiter Somtow Sucharitkul gaben diesmal ein Konzert in der Lamberti-Kirche, das ganz der Filmmusik von Bernard Herrmann gewidmet war. Musik aus zehn Filmen, von »Citizen Kane« bis »Taxi Driver« war zu hören, zwischendurch erfreute Sucharitkul mit kleinen Geschichten darüber, was die einzelnen Musiken und Filme, die er vielfach schon als Kind sah, für ihn bedeuteten.
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