Venedig: Erfolgreicher Anfang
»Madres paralelas« (2021)
Das 78. Filmfestival von Venedig erlebt mit neuen Filmen von Pedro Almodóvar und Jane Campion einen packenden Auftakt. Almodóvars »Madres paralelas« thematisiert die Unbedingtheit mütterlicher Liebe ebenso wie Vernachlässigung
Pedro Almodóvar gehört zu jener seltener werdenden Spezies von Regisseuren, deren Name zu eine Art Marke geworden sind. Das bedeutet aber auch, dass ein »Almodóvar-Film« bestimmte Erwartungen erfüllen muss. Es gehören Äußerlichkeiten dazu – ein bestimmter Umgang mit Farben, ein paar vertraute Schauspielergesichter – aber vor allem steht ein Almodóvar-Film für einen Cocktail der Emotionen. Überraschung ist eine der Zutaten, genauso wie Melodrama und Nachsicht für Außenseiter aller Art, vor allem solche, die schmerzliche Verluste erlitten haben. Dieser Gefühlsmix macht den spanischen Regisseur auch zu einem idealen Kandidat, um ein Festival in Zeiten der Pandemie zu eröffnen. Mit »Madres paralelas« (Parallel Mothers) jedenfalls ist dem 78. Filmfestival von Venedig ein so erfolgreicher Auftakt wie lange nicht gelungen.
In »Madres paralelas« bringt Almodóvar Themen zusammen, die seine Filme schon lange wie ein roter Faden durchziehen. Die unterschiedlichen Formen des Mutterseins, das Bewältigen von persönlichen Krisen und die langen Schatten der Vergangenheit, fließen zusammen in einer Geschichte, die einmal mehr so wirkt, als käme ihr erster Entwurf von der Seite für Vermischtes. Zwei werdende Mütter teilen sich das Zimmer einer Geburtsstation. Die eine, Janis (Penélope Cruz) eine gestandene, berufstätige Frau, die andere, Ana (Milena Smit) ein unsicherer Teenager. Gemeinsam ist ihnen, dass sie keine Männer an ihrer Seite haben. Janis hat ihren verheirateten Liebhaber verlassen, um ihn – und ihre eigene Liebe zum Kind – nicht zu belasten. Ana möchte an die Nacht der Zeugung erst gar nicht erinnert werden. Die beiden Frauen sind sich sympathisch und tauschen Telefonnummern aus; der Filmzuschauer ahnt da bereits, dass noch etwas anderes ausgetauscht wurde.
Das Motiv der im Krankenhaus verwechselten Babys gibt es in vielen Varianten. Almodóvar macht daraus etwas, was sich verblüffender Weise wie neu anfühlt: eine komplexe Erzählung über Identität und Zugehörigkeitsgefühl. Die Unbedingtheit mütterlicher Liebe kommt genauso vor wie Vernachlässigung. Auch »schlechte Mütter« (und Väter) sind eine Verbindung in die Vergangenheit. In der wichtigsten Nebenhandlung des Films kämpft Janis darum, die vermutete Todesstätte ihres Urgroßvaters auszugraben, der während des spanischen Bürgerkriegs zusammen mit anderen Männern aus seinem Dorf von Falangisten abgeführt und erschossen wurde.
Auf seine unnachahmliche Weise gelingt es Almodóvar, die Kreuzung von großer Historie mit persönlichem Drama nie bemüht wirken zu lassen. Im Gegenteil, mit »Madres paralelas« ist ihm eine seiner emotional packendsten Filme der letzten Jahre gelungen. Sehr großen Anteil daran hat Penélope Cruz, die ihrer Janis eine Wärme und Empathie – neben ihrer naturgegebenen großen Schönheit – verleiht, die den Zuschauer für die Egoismen ihrer Figur sehr milde stimmt und bei aller Stärke Janis' besondere Fragilität immer sichtbar hält. Vom Start weg ist Cruz damit eine heiße Favoritin für den Schauspielpreis, die heißbegehrte Coppa Volpi des Festivals.
Wo Almodóvar mit viel Emotion bejubelt wurde, polarisierte der zweite Beitrag im diesjährigen Wettbewerb, Jane Campions Literaturverfilmung »Power of the Dog«. Die Handlung spielt in den 1920er Jahren in Montana. George (Jesse Plemons) und Phil (Benedict Cumberbatch) führen als Brüderpaar eine Ranch. Als George die Witwe Rose (Kirsten Dunst) heiratet, gerät ihr Kräftegleichgewicht aus den Fugen: Phil, der Mann fürs Grobe, positioniert sich immer stärker gegen George, den sich kultiviert gebenden Schreibtischmann, und vor allem dessen Gattin, die verletzliche Rose. Ihren Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) überzieht er zunächst mit homophoben Beleidigungen. Doch dann bietet er sich ihm als Mentor an – was dessen Mutter Rose noch mehr beunruhigt als die Beleidigungen vorher.
Campion lässt ihren Figuren viel Zeit, ihre Beziehungen zu etablieren. Ihr Western kommt ohne Action aus und gleicht streckenweise eher einer Geistergeschichte. Ganz bewusst enttäuscht sie die Erwartung danach, einmal mehr »toxische Männlichkeit« entlarvt zu sehen. Statt dessen entwickelt ihr Filme eine dynamische Widersprüchlichkeit, die in der Tat mehr verstört als auf den ersten Blick gefallen kann. Dennoch wird auch mit Campion – »The Power of the Dog« ist ihr erster Spielfilm seit zwölf Jahren – bei der Löwenvergabe weiter zu rechnen sein.
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