Margrit Frölich: Filme mit Substanz
Margrit Frölich, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Frankfurt. © Katrin Schilling
Seit 70 Jahren gibt die Jury der Evangelischen Filmarbeit monatliche Filmempfehlungen heraus. Mit der Vorsitzenden Margrit Frölich sprach Ulrich Sonnenschein
Frau Frölich, seit 2018 sind Sie Vorsitzende der Jury der Evangelischen Filmarbeit, was bedeutet das für Sie?
Ich bin seit 1999 in der Jury und wurde gleich nach wenigen Monaten zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Nach dem Tod meines Vorgängers, Werner Schneider-Quindeau, habe ich dann den Vorsitz übernommen. Der Vorsitz bedeutet zum einen sehr viel Spaß, aber eben auch Verantwortung. Unser Anspruch ist ja, aus der Vielzahl von Kinoproduktionen einen besonderen Film auszuwählen und als Film des Monats zu nominieren. Da möchte man natürlich den Überblick haben und keinen Film übersehen. Denn nichts ist schlimmer als hinterher zu sagen, warum haben wir diesen oder jenen Film, der wichtig und sehr gelungen ist, nicht gesehen? Zum Glück passiert das nur äußerst selten. Ich bemühe mich schon, die Auswahl so zu beeinflussen, dass alle wichtigen Filme des kommenden Monats berücksichtigt werden.
Wie nehmen Sie denn am aktuellen Filmgeschehen teil?
Vor Corona hatte ich zum Beispiel eine wunderbare Veranstaltungsreihe »Film und Gespräch« im Frankfurter Programmkino Mal seh'n. Da haben wir zum öffentlichen Diskurs über Film angeregt. Mir ist dabei der Bildungsaspekt besonders wichtig. Das Interesse, um nicht zu sagen: der Hype, um den Film insgesamt hat glücklicherweise so zugenommen, dass man sich keine Sorgen um die Zukunft des Films zu machen braucht: Das Bedürfnis, gute Filme zu sehen, ist vorhanden. Auch um sogenannte kleine Filme nicht. Und wir sind dabei Teil des Ganzen. Wir sind die einzige evangelische Filmjury in Deutschland und hoffen, mit unserer Arbeit den Blick für die Bedeutung des Films zu schärfen. Wir richten uns in erster Linie an diejenigen, die ein Interesse an der Kinokultur haben und bieten Orientierungshilfen an. Unter den vielen Filmen, die ins Kino kommen, das sind inzwischen sieben bis 12 pro Woche, wollen wir die hervorheben, die sich besonders lohnen, die sich anbieten, sich etwas intensiver mit ihnen auseinanderzusetzen und die besonders wertvoll sind. Wir haben dabei drei Kriterien: die ethische Sicht, die ästhetische Gestaltung und die thematische Ausrichtung. Alle drei Dimensionen müssen gleichermaßen erfüllt sein. Das können aber ganz unterschiedliche Genres sein, da gibt es keine Vorgaben.
An wen richtet sich diese Bewertung?
Das können kirchliche oder kirchenaffine Kreise sein, die sich auf uns beziehen und sagen, ja, wenn die Evangelische Filmjury diesen Film empfiehlt, dann schau ich mir diesen Film noch einmal besonders genau an. Aber wir sprechen über die Kirche hinaus eine am Kinofilm interessierte Öffentlichkeit an. Für die Wahrnehmung unseres Films des Monats ist die Anbindung an epd Film besonders wichtig. Denn hier wird eine große Zahl filmbegeisterter Menschen erreicht, die unsere Einschätzungen ernst nehmen. Eins aber möchte ich dabei betonen: Wir wollen uns nicht dogmatisch vor die Zuschauer stellen und ihnen vorschreiben, welchen Film sie auf welche Weise zu sehen haben. Die Begründung, die die Jury schreibt, ist ein Angebot. Wichtig ist die eigene Urteilsfindung, und das ist ur-protestantisch: für sich zu entscheiden, welche Aspekte eines jeweiligen Filmes wichtig und bedeutsam sind. Wir wählen Filme aus, die Substanz haben, gesellschaftlich und kulturell relevant sind und in dieser Offenheit gestaltet sind. Wir verfassen keine Handlungsanweisungen. Wenn jemand sagt, dieser Film ist nichts für mich, finden wir das völlig ok.
Sie sagen, die kirchliche Bindung ist wichtig. Bedeutet das, dass Filme mit kircheninternen oder religiösen Themen bevorzugt werden?
Ganz und gar nicht. Wir haben zum Beispiel François Ozons »Gelobt sei Gott« zum Film des Monats gewählt, weil er auf ganz differenzierte Weise mit dem Thema Missbrauch – in der katholischen Kirche – umgeht. Sowohl was die Figuren, aber auch was die Ereignisse angeht, die ja von wahren Fällen inspiriert sind. Das Thema Missbrauch ist ja nun beileibe kein rein katholisches. Die Jury ist eine unabhängige Institution. Natürlich sind Theologen dabei sowie Beschäftigte evangelischer Institutionen, und so wie unsere Jury sich an den Werten des Evangeliums orientiert, orientieren sich die Mitglieder der Jury natürlich an den Werten ihrer jeweiligen Träger, aber sie sind eben nicht weisungsgebunden.
Wie setzt sich die Jury denn zusammen? Und wer bestimmt, wer teilnehmen darf und wer nicht?
Die Jury besteht aus 16 Mitgliedern. Ganz unterschiedliche Institutionen entsenden Vertreter, wie die evangelische Frauenarbeit, die evangelische Männerarbeit, die evangelische Jugendarbeit, die evangelische Erwachsenenbildung, die evangelischen Akademien und die evangelische Publizistik, also epd Film. Dazu kommen zwei Mitglieder, die der Kulturbeauftragte der EKD entsendet und zwei evangelische Pfarrer. Aber man muss gar nicht unbedingt bei einem Träger angestellt sein, um entsandt zu werden. So haben wir zum Beispiel einen Mitarbeiter der Murnau-Stiftung, der filmwissenschaftlich ausgebildet ist. Das Interessante ist eben die Mischung. Viele der Mitglieder kommen aus der Bildungsarbeit und sind davon überzeugt, dass man mit dem Medium Film in der Bildungsarbeit eine Menge machen kann.
Wie findet denn die Auswahl statt, es können doch unmöglich alle Mitglieder alle Filme sichten, die im Kino anlaufen?
Nein, das geht natürlich nicht. Eine große Hilfe ist die Redaktion von epd Film. Dann schauen wir darauf, welche Filme bereits auf Festivals von einer ökumenischen oder Interfilm-Jury ausgezeichnet wurden und schließlich auch darauf, welche Filme filmkulturell für Aufsehen gesorgt haben.
Da kommen dann die Filme, die ein eigenes Werbebudget mitbringen und sozusagen mit zwei erhobenen Armen auf dem Marktplatz stehen und auf sich aufmerksam machen, gar nicht in Frage, oder? Wie steht es zum Beispiel mit James Bond?
Das ist eine interessante Frage, tatsächlich hatten wir noch keinen der Bond-Filme in der Auswahl. Ich wüsste auch nicht genau, wie ich es begründen sollte, dass die Evangelische Filmjury aus ethischen, ästhetischen und thematischen Gründen ausgerechnet einen Bond-Film als Film des Monats auswählt, obwohl ich selbst ein großer Bond-Fan bin und diese Form des Unterhaltungskinos ungeheuer schätze. Wir müssen auf einen solchen Blockbuster natürlich nicht mehr aufmerksam machen, da haben Sie völlig recht. Es bleibt eine Gratwanderung, ob wir uns auf kleine Arthouse-Produktionen konzentrieren oder auch solche Filme hinzunehmen wie »Nomadland« oder »Moonlight«, die in der cineastischen Welt Aufmerksamkeit erregt haben oder gar mit einem Oscar ausgezeichnet wurden. Die haben wir nominiert, weil wir so von ihnen überzeugt waren. Wir suchen einfach nach herausragenden Filmen – und die haben dann eben auch Chancen, einen Oscar zu gewinnen.
Welcher Film hat denn den größten Skandal ausgelöst?
Das war Herbert Achternbuschs »Gespenst« von 1982. Der wurde von der evangelischen Filmjury ausgezeichnet, obwohl man ihn blasphemisch lesen konnte und er in vielerlei Hinsicht gegen den bürgerlichen Geschmack verstoßen hat. Das hat einen riesigen Ärger ausgelöst innerhalb der evangelischen Kirche, und es wurde moniert, dass eine evangelische Jury solch einen Film auszeichnet. Aber die Jury hat auf ihrer Unabhängigkeit bestanden und sich da durchgesetzt. Heute gehört der Film zum festen Kanon des Neuen deutschen Kinos.
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