55. Filmfestival Karlsbad
»Zátopek« (2021)
Das 55. Filmfestival in Karlovy Vary kam mit starkem tschechischem Aufgebot, einem Hauch Politik und originellem Hygienekonzept. Unschlagbar trotz Corona: das Publikum und die Atmosphäre
Nicht nur in den Kinos herrscht in diesem Sommer Filmstau. Auch der internationale Festivalkalender wurde heftig durcheinandergewirbelt. So fand Cannes diesmal im Juli statt, dafür wanderte das A-Festival im tschechischen Karlovy Vary von Anfang Juli auf Ende August und endete nur wenige Tage vor Venedig. Die bange Frage für die Veranstalter des größten Kulturevents in Tschechien lautete dann auch: Kehren die Zuschauer zurück?
Der künstlerische Leiter Karel Och setzte mehr denn je auf einheimische Filme. So eröffnete man am 20. August mit »Zátopek«. Das Biopic über den legendären tschechoslowakischen Leichtathleten Emil Zátopek, der 1952 in Helsinki eine Goldmedaille über 5000 Meter, 10 000 Meter und den Marathon gewann, konnte trotz einiger historischer »Freiheiten« durchaus überzeugen. Der in Tschechien erfolgreiche Regisseur David Ondricek, dessen Filme in Deutschland zu Unrecht kaum bekannt sind (dabei drehte er 2012 mit »In the Shadow« einen in den 1950ern angesiedelten Politthriller mit Sebastian Koch), zeigt einen Athleten, der als Sportler fast alles gewinnt, aber während des Kalten Krieges von der kommunistischen Staatsmacht vereinnahmt wird. Außerdem ist Zátopek eine Reise zurück in eine Zeit, als der Sport noch nicht so kommerziell war. Starke Schauspielerleistungen runden den konventionell erzählten Film ab, der nicht nur den Publikumspreis gewann, sondern gleich am Startwochenende in Tschechien weit über 100 000 Zuschauer in die Kinos lockte.
Die tschechischen Wettbewerbsbeiträge von Olmo Omerzu oder Václav Kadrnka – bekannte Namen – konnten dagegen nur bedingt überzeugen. Während Omerzu in »Bird Atlas« eine an sich nicht sonderlich originelle Geschichte um einen Industriellen und Familientyrannen zeigt und sie durch surreale Szenen, in denen Vögel »reden« können, aufbauscht, bleibt Kadrnkas »Saving One Who Was Dead« um einen Komapatienten und seine Angehörigen formal so streng, dass er zu unterkühlt wirkt. Bemerkenswert ist dennoch eine neue Genrevielfalt im tschechischen Kino und eine thematische Öffnung hin zu internationaleren Geschichten. Das trifft beispielsweise auf den als Special gezeigten Animationsfilm »My Sunny Maad« von Michaela Pavlátová zu, die Geschichte einer Tschechin, die sich in Prag in einen Afghanen verliebt und mit ihm 2011 nach Kabul zieht. Der Film, der humorvoll und dennoch ernsthaft kulturelle Unterschiede betont und karikiert, erhielt in diesem Jahr beim Animationsfilmfestival in Annecy den Jurypreis. Durch die dramatischen aktuellen Ereignisse in Afghanistan sieht man »My Sunny Maad« natürlich mit einer ganz anderen Aufmerksamkeit.
Das Festival in Karlsbad gehört dennoch nicht zu den eher politischen Festivals wie die Berlinale, auch wenn die internationale Jury wohl versuchte, ein Statement zu setzen: Der mit 25 000 Dollar dotierte Hauptpreis, der Kristallglobus, ging an einen serbischen Film über afrikanische Migranten: »As Far as I Can Walk« von Stefan Arsenijević.
Im großen Saal mit 1200 Plätzen – Maskenpflicht – feierten die Zuschauer eher andere Wettbewerbsfilme wie den britischen »Boiling Point«. In nur einer Kameraeinstellung geht es um einen alkoholabhängigen Chefkoch, der versucht, einen normal verrückten Abend zu überstehen. Dagegen wirkte »Nö« von Dietrich Brüggemann, einer von zwei deutschen Wettbewerbsfilmen, schon fast nüchtern, obwohl er phasenweise gut und intelligent unterhält. Brüggemann erhielt den Regiepreis für seine Etüde um ein Paar, das durch alle Etappen des Zusammenlebens in 15 festen Einstellungen gefilmt wird.
Karlovy Vary lebt von seiner einzigartigen Atmosphäre und dem Publikum. So kamen Stars wie Sir Michael Caine, Ethan Hawke oder Johnny Depp, und mit 111 000 verkauften Tickets übertrumpfte man die 60 000 zahlenden Zuschauer der »Sommerberlinale« recht deutlich. Originell war die Durchsetzung des Hygienekonzepts. Dieses Jahr musste man geimpft, genesen oder negativ getestet sein und bekam dafür ein Bändchen, wie man es von Rockfestivals kennt. Ein schönes Beispiel dafür, dass Karlovy Vary auch in der 55. Ausgabe einfach rockte.
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