45. Duisburger Filmwoche
»Girls|Museum« (2020) von Shelly Silver
Diskussionen sind ein wichtiger Bestandteil der Duisburger Filmwoche, die dieses Jahr zum 45. Mal stattfand. Nach jedem Film wird ausgiebig und mitunter unerbittlich geredet
»Ein Fluss!«, ruft das Publikum angesichts der gezeigten Bilder aufgeregt, »große Piroggen!« Dann beschreiben Stimmen, dass sie Soldaten in Rüstung sehen. Und dass die bewegten Bilder an Halluzinationen nach dem Genuss von Lianensud erinnern. Die Menschen sind vom Volk der Huni Kuin im Regenwald des Amazonas. Die Bilder, die aus dem 16-mm-Projektor auf eine selbst gebaute Leinwand kommen, zeigen den Duisburger Hafen, Bergarbeiter bei der Seilfahrt und bei der Arbeit unter Tage. Nach Peru gebracht hatte sie auf Wunsch der Huni Kuin die deutsche Filmemacherin Barbara Keifenheim, die Anfang der 1980er-Jahre eine Zeit bei und mit ihnen drehte. Die weißen Männer aus der »Welt des Metalls« mit ihrer harten Arbeit tun den Männern der Huni Kuin leid, während die Frauen beider Seiten im Film leider fast völlig aus dem Fokus gerieten.
Zu sehen war »Naua Huni« (der Begriff steht sowohl für »weißer Mann« wie für »Halluzination«) in einem Bonus-Programm der diesjährigen Duisburger Filmwoche, wo der Film 1984 auch seine Uraufführung hatte. In einer Einführung wies der Siegener Medienwissenschaftler Erhard Schüttpelz darauf hin, dass der sogenannte Anthropozän eigentlich ein Pyrozän (von Feuer) ist. Und wie in den letzten Jahrzehnten die globale Topografie von Zentrum und Peripherie gekippt sei, so dass die ehemalige industrielle Gegend an Rhein und Ruhr sich nun mit seinen vielen neuen Landschaftsparks vielleicht irgendwann wieder in einen Urwald verwandeln könnte. Gedreht wurde damals übrigens mit Solarenergie. Und der Lianen-Tee Ayahuasca ist seit ein paar Jahren als Droge in der Yoga-und Achtsamkeits-Szene ein Hype.
»We Are All Detroit« von Ulrike Franke und Michael Loeken baut eine andere Art von Brücke aus dem Pott in die Neue Welt und schaut mit der den beiden eigenen Präzision vom 2014 geschlossenen Opel-Werk in Bochum nach Detroit, wo der Prozess der automobilen Deindustrialisierung drei Jahrzehnte früher einsetzte. Doch während in Detroit heute immer noch die Ruinen des frühen 20. Jahrhunderts morbide Tristesse verströmen und auch die (mit Bangen oder Hoffen) erwartete Gentrifizierung erst mal auf sich warten lässt, wurden in Bochum die architektonisch reizvollen Produktionshallen samt einiger Bäume im Umfeld schon bald abgerissen und durch eine automatisierte DHL-Verteilanlage ersetzt, wo nun (noch) 600 unqualifizierte Angestellte Päckchen vom Band auf Karren stapeln. Dafür gibt es in Detroit – in Deutschland unvorstellbar – auf öffentlichem Brachland offensichtlich genug behördlichen Freiraum, dass blühende Gärten und urbane Landwirtschaft entstehen können.
Doch die Filmwoche ist kein Ruhrgebiets-Festival, auch wenn das diesjährige Oberthema »Schichten« regionstypische Bedeutungen der Arbeitswelt und der Geologie zusammenführt. Aber es waren auch landschaftliche oder historische Schichtungen, die bei dem in Duisburg gleichgewichtig zum Kino stattfindenden diskursiven Teil an den Filmen freigelegt wurden. Oder kunsthistorische, wie in Shelly Silvers gelungener Experimentalanordnung »Girls | Museum« (3SAT-Preis), die im Leipziger Museum der bildenden Künste Mädchen und junge Frauen ihre Wahrnehmung der dortigen Kunstwerke erzählen lässt. Fragen wurden dabei nicht vorgegeben – bis auf eine zum Ende des Films: Was würdest du bei der Präsentation der Sammlung anders machen? In den Antworten zeigte sich, dass die Mädchen die männliche Dominanz der Sammlung zwar deutlich wahrnahmen, sich aber nur wenige darüber unzufrieden zeigten. Der arte-Preis würdigte eine andere sehr persönliche Begegnung zweier eigentlich fremder Welten: In »Uncomfortably Comfortable« begleitet die seit 2013 in Brooklyn lebende Maria Petschnig anderthalb Jahre lang einen Afroamerikaner, der sich in seinem Auto vor den Zumutungen der Welt zurückgezogen hat.
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