14. Lichter Filmfest Frankfurt International
»Wer wir waren« (2021). © X-Verleih
Doch wieder digital: Das 14. Lichter Filmfest Frankfurt International zeigte eine gelungene Auswahl regionaler und überregionaler Werke, der Kongress »Zukunft deutscher Film« musste verschoben werden
Im letzten Jahr war das Lichter Filmfest das erste, das kurz nach dem ersten Lockdown im März auf einen Onlinebetrieb umstellen musste. Eine echte Pioniertat seinerzeit, die technisch dennoch gut funktioniert hat. Seitdem haben so gut wie alle Festivals in Deutschland digital stattgefunden. Und nun auch die aktuelle, 14. Ausgabe des Lichter Filmfests. Nur die Jury durfte, wie die der Berlinale, die Filme im Kino sehen, und die Fortsetzung des Kongresses »Zukunft deutscher Film« haben die Veranstalter auf den Herbst verlegt.
Das Lichter Filmfest verbindet seit seinem Anfang Regionales mit Internationalem, in der Hoffnung, dass beide Sphären im Kopf des Zuschauers für Impulse sorgen. Und dieses Crossover funktionierte auch in diesem Jahr – das Motto des internationalen Programms hieß »Wandel« – hervorragend. Marc Bauders Dokumentarfilm »Wer wir waren« (der bei den Lichtern quasi seine Weltpremiere feierte, zuvor wurde er nur auf der geschlossenen Branchenveranstaltung der Berlinale gezeigt) lief im regionalen Programm (weil er hessisch gefördert ist), das etwa auch die Saarbrücken-Erfolge »Borga« und »Trübe Wolken« zeigte. Bauder gelang ein ebenso reflexives wie visuelles Werk. Inspiriert von Roger Willemsens Buch, sieht der Film quasi unsere Probleme, natürlich vor allem die Umweltprobleme, aus der Perspektive der Zukunft: Was werden künftige Generationen einmal über uns denken? Werden wir Gegenwärtigen die sein, die es vermasselt haben? Mit sechs Personen, Wissenschaftlern, einem Ökonomen, einem Mönch und einer Philosophin, hat Bauder gesprochen. Der Zustand, den sie beschreiben, ist eigentlich eine Welt vor dem Abgrund, gerade wenn die Philosophin Janine Loh über den Strand von Fukushima geht oder die Meeresbiolgogin Sylvia Earle sagt, dass das Herz unseres Planeten, das Meer, nur noch unregelmäßig schlage. Die beeindruckendsten Bilder dieses Films, und davon gibt es viele, stammen aus der Raumstation ISS, wo sich der Astronaut Alexander Gerst Gedanken über Gegenwart und Zukunft macht. Auch Gerst stellt das Ende der Menscheit in den Raum, aber dass wir es schaffen können, ist doch der Grundkonsens dieses Films.
Auf die ISS will auch die Astronautin Sarah (Eva Green). »Proxima – Die Astronautin« fand sich in der Reihe »Zukunft deutscher Film«, als französisch-deutsche Koproduktion. Man ist ja geneigt, abfällig über den »Europudding« zu sprechen (Filme, die aufgrund ihrer nationalen Förderungen an verschiedenen Schauplätzen gedreht werden müssen) – im Film von Alice Winocour funktioniert das allerdings vortrefflich und sinnvoll. Raumfahrt ist eben kein nationales Phänomen mehr, man bereitet sich vor in Frankreich, Deutschland und Russland. Zwei Schwerpunkte setzt Winocour: zum einen das harte physische Training und den Druck (Ersatzleute stehen bereit), zum anderen die emotionale Bindung Sarahs an ihre Tochter.
Der erste Mensch im All hieß Juri Gagarin. Vor ziemlich genau 60 Jahren startete der sowjetische Kosmonaut zu seinem Flug. 1963 wurde in Paris ein gigantischer Sozialbau eingeweiht, der seinen Namen trägt.Wie aus der Zukunft sehen wir die Aufbruchsstimmung jener Tage: Mit Archivaufnahmen beginnt der französische »Gagarine« von Fanny Liatard und Jérémy Trouilh (internationales Programm). Auch Juri (Alséni Bathily) träumt davon, Astronaut zu werden. Aber zuerst muss er versuchen, den Wohnblock, eine regelrechte Wohnmaschine mit 350 Einheiten, in der Banlieu zu retten, denn der steht vor dem Abriss. Er versucht, ihn mit Hilfe des Romamädchens Diana (Lyna Khoudri) instand zu halten, aber irgendwann ist er der einzige Bewohner, versteckt in einem Zimmer, das wie eine Raumkapsel anmutet. Liatard und Trouilh haben für ihre verhaltene Liebes- und Coming-of-Age-Geschichten mitunter betörende Bilder gefunden. Einmal blitzen sich Juri und seine Freundin über die Stadt hinweg an, er von seinem Balkon, sie von einem Kran.
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