Venedig: Rechtens gegen rechts
»Und morgen die ganze Welt« (2020). © Alamode Film
Julia von Heinz ist mit »Und morgen die ganze Welt« ein direkter und unmittelbarer Film gelungen. Dennoch bleiben die Charaktere zu schematisch. Dabei wirft der Film eine Frage auf, die aktueller nicht sein könnte
In normalen Jahren sorgt schon die besondere Aura Venedigs dafür, dass auch das Filmfestival etwas Entrücktes bekommt: Da können die Filme noch so realistisch sein, die Not und das Elend in der Welt abbilden, vor dem Palazzo del Cinema, dem Filmpalast, gehen sie doch eine Verbindung mit dem Glamour des Hintergrunds ein. Doch im Jahr 2020 verpasst die allgegenwärtige Maskenpflicht diesem Flair einen gewaltigen Realitäts-Check: Plötzlich sind es die Filme, die der Realität entrückt wirken, weil sie allesamt vor der Pandemie-Krise entstanden sind. Julia von Heinz und ihr deutscher Beitrag zum »Engagement gegen rechts« ist dabei noch einer der dringlichsten.
Heinz, bekannt geworden mit der Verfilmung von Hape Kerkelings Besteller »Ich bin dann mal weg«, hat für »Und morgen die ganze Welt« ihre eigene Erfahrung im Antifa-Engagement fiktionalisiert und in die Gegenwart gebracht. Ihr Avatar im Film ist Luisa (Mala Emde), eine junge Frau Anfang 20, die als Jurastudentin noch bei den Eltern wohnt. Ohne dass es dazu eine besondere Erklärung bedarf, glaubt man der jungen Frau sofort, dass sie ihrem ausgesprochen großbürgerlichen, wenn auch offenbar sehr toleranten, Zuhause entfliehen will.
Mit leuchtenden Augen sieht man sie gleich zu Anfang ihrer Freundin Batte (Luisa-Céline Gaffron) folgen, die in einem Antifa-Projekt, nämlich einem besetzten Haus lebt. Doch erst muss Luisa einer Vielzahl an kritischen Augen standhalten und sich zu ihrer Bereitschaft zum Engagement gegen rechts bekennen. Ihr Jura-Studium gibt schließlich den Ausschlag: So jemand kann man im Antifa-Kreis gebrauchen.
Bald schon geht es auch schon zur ersten Aktion, eine Gegendemonstration einer rechten Kundgebung, wo es dann gleich zu Prügelszenen und Hetzjagden zwischen rechts und links kommt. Luisa erweist sich einerseits als unerfahren, andererseits als ausgesprochen geschickt und aufmerksam. Ihr Fundstück eines Handys führt die Gruppe prompt zu ihrem nächsten, noch gefährlicheren Coup gegen rechts.
Heinz' Film erzählt vom Antifa-Engagement in Szenen, die immer unmittelbar im Geschehen spielen. Meist ist die Kamera auf die Gesichter der Beteiligten gerichtet, die oft Entschlossenheit, seltener Unsicherheit ausdrücken. Man erfährt über die Figuren nie viel mehr, als dass sie unbedingt gegen rechts kämpfen wollen. Sicher kommt das ein oder andere persönliche Motiv hinzu. Da gibt es den vorlauten Alfa (Noah Saavedra), den alle bewundern, gerade weil er stets besonders radikales Vorgehen fordert.
Lenor (Tonio Schneider) dagegen, der aus weniger gutem Haus kommt, will deshalb manche Aktion abbrechen, weil er weiß, dass seine Eltern nicht die Verbindungen haben, ihn nach einer möglichen Verurteilung »rauszuhauen«. Luisa schwankt in nicht untypischer Mädchenweise zwischen der Attraktion, die das Alphamännchen Alfa auf sie ausübt, und der besseren Freundschaft, die Lenor ihr bietet. Über die Sinnhaftigkeit ihrer Aktionen, darüber, ob es etwas bewirkt, den Rechten »was auf die Nase« zu geben, gibt es eher weniger Reflexion.
Die Stärke von Heinz' Film ist die Direktheit und Unmittelbarkeit, mit der sie auf der Seite der jungen Helden steht. Aber gerade, weil sie die Perspektive so einschränkt, und außerhalb ihres engen Kreises kaum richtige Charaktere entwickelt, bleibt ihr Film am Ende doch sehr schematisch. Die rechte Szene, die Luisa und ihre Antifa-Genossen ausspionieren und beklauen, verkommt zur bloßen Chiffre aus schwarz gekleideten, meist höhnisch lachenden Männern. Und die Gewaltfrage, die sich Luisa und ihren Freunden vermehrt stellt – wie weit darf man gehen im Kampf gegen das Unrecht? –, reduziert der Film in etwas schwammiger Weise auf die emotionale Ebene. Wie lernt man, seine Wut und Verzweiflung über die Welt zu beherrschen? Eine Frage, die heute aktueller denn je scheint.
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