Nachruf: Sean Connery
Sean Connery mit Kevin Kostner in »Die Unbestehlichen« (1987). © Paramount Pictures
Sein Mienenspiel war einzigartig. Wie er seine Lippen schürzte, war unverwechselbar. Da waren Muskeln im Spiel, von deren Existenz der Großteil seiner Kollegen keine Ahnung hatte. Sean Connerys Mund war ein Kraftwerk, das die Laute zischend der Welt entgegenschleuderte.
Wo die Augen anderer Schauspieler leuchten oder strahlen, blitzten seine auf: vor Unternehmungslust und Zuversicht. Sie erkannten die Welt als etwas, das es zu erobern galt. Sie waren das Unterpfand seiner Geistesgegenwart, Indiz einer blendenden Intensität. Aber was waren sie ohne die Brauen, die darüberlagen? Die waren sein temperamentvollstes Instrument. Er beherrschte es virtuos, hob oder senkte sie in Richtungen, die dem Kino bis dahin nicht zu Gebot standen. Sein Bond-Nachfolger Roger Moore konnte sie nur spöttisch kräuseln. Aber Connery formte sie zu einem machtvollen Bogen, oder, am schönsten: zu einem Dreieck von homerischer Heiterkeit. Sie unterstrichen Wachsamkeit, Genugtuung, Erstaunen, Misstrauen, Nachsicht, Neugierde oder die Freude am Fabulieren. Mit ihnen drückte er nicht nur Stimmungen aus, sondern eine Weltsicht.
Als James Bond war er noch glatt rasiert. Aber die virile Ausdruckskraft der Brauen erlosch nicht, als er sich danach zu einem begnadeten Schnauz- und Vollbartträger mauserte. Die Behaarung ließ vergessen, dass sein Haupthaar längst schütter war, und verlieh den Toupets, die er wacker trug, Würde. Der Erfinder Bonds, Ian Fleming, hätte lieber Cary Grant in der Rolle des Geheimagenten seiner Majestät gesehen, oder einen anderen, dem man Vornehmheit zutraute. Immerhin sollte die Figur das Vereinigte Königreich hinwegtrösten über den Verlust seiner Kolonien und seiner allgemeinen geopolitischen Bedeutung. Connery fügte Bonds weltläufiger Eleganz eine Dosis proletarischer Ruppigkeit bei. Bis Daniel Craig war er der einzige Darsteller der Rolle, den man sich nicht als Mitglied eines exklusiven Clubs vorstellen musste. Mit ihm geriet das britische Klassensystem aus den Fugen: Als Aristokraten konnte man sich ihn nicht vorstellen, aber er war wie geschaffen dafür, Könige zu spielen.
Seine Herkunft aus der schottischen Arbeiterklasse war oft sichtbar – man achte nur auf die Tätowierungen, die seine Unterarme zierten: »Mum and Dad«, »Scotland forever« –, immer auch metaphorische Grundierung seiner Karriere. Er war als sparsam bekannt und dafür, sich bei Gagenverhandlungen nicht über den Tisch ziehen zu lassen. Seine Leidenschaft fürs Golfspiel war legendär (in seinen Verträgen ließ er sich mindestens eine einschlägige Szene zusichern); seine zweite Ehefrau lernte er bei einem Turnier kennen und schätzen. In der Freizeit schrieb er Gedichte.
Als Kind trug er zum Unterhalt der Familie bei, indem er sich unter anderem als Milchmann verdingte. Mit 16 Jahren trat er der Marine bei, mit 18 begann er eine Karriere als Bodybuilder. Anfang der 50er schnupperte er zum ersten Mal Theaterluft (zunächst hinter der Bühne), 1954 trat er erstmals als Statist vor der Kamera auf, drei Jahre später in einer Nebenrolle. Er mochte ein ziemlich unbeschriebenes Blatt gewesen sein, als die Bond-Produzenten auf ihn aufmerksam wurden. Aber er trat selbstbewusst auf – mit seinen 1,88 Metern hatte er die Statur dafür – und weigerte sich, Probeaufnahmen zu machen. Das war genau die richtige Haltung für diese Rolle. Produzent Albert J. Broccoli fand, dass er sich wie ein Panther bewegte. Und was Fleming nicht voraussehen konnte, war Connerys Lernfähigkeit. Je mehr seine Rolle mit Gimmicks und Spezialeffekten konkurrieren musste, desto entschiedener überführte er sein Spiel ins Genre der gehobenen Komödie.
Er wirkte in jeder Rolle so entspannt, dass man sein Talent leicht unterschätzen konnte. In Hitchcocks »Marnie« und als berechnender Erbe in »Die Strohpuppe« arbeitete er früh an einem zweiten Image. Aber erst Sidney Lumet, mit dem er von »Ein Haufen toller Hunde« an insgesamt sechs Filme drehte, entdeckte seine Vielseitigkeit. Bei ihm sind Connerys Rollen ebenfalls durch die Gewalt definiert, jedoch nicht ausschließlich als Täter. Seine Präsenz funktionierte in praktisch sämtlichen historischen Epochen, nur im Western »Man nennt mich Shalako« machte er keine gute Figur. Bei der Wahl seiner Rollen mag sein Instinkt ihn bisweilen getrogen haben, bei deren Gestaltung verließ er ihn selten. In all seinen Suchbewegungen als Charakterdarsteller blieb er stets ein Star, der nicht in seinen Figuren verschwand, sondern seine Persönlichkeit durchscheinen ließ. Den schottischen Akzent behielt er in fast jeder Rolle bei. Zu Bond passte das, der bekanntlich halbschottischer Abstammung ist. Aber diese mundartliche Unbeugsamkeit brachte ihm auch Spott ein. Gleichviel, er verkörperte reuelos Figuren unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, etwa den norwegischen Polarforscher Roald Amundsen in »Das rote Zelt«, den unsterblichen spanischen Edelmann in »Highlander«, irischstämmige Minenarbeiter (»Verflucht bis zum jüngsten Tag«) oder Polizisten (»Die Unbestechlichen«), einen litauischen (und eben nicht sowjetischen) U-Boot-Kommandanten in »Jagd auf Roter Oktober« sowie Amerikaner und jede Menge sonstige Briten. Es spricht für seinen Status, dass nie ein Regisseur verlangte, dass er seinen Edinburgh brogue ablegte. Der erinnerte Connery daran, wer er war. Es passte zu ihm, dass er keinen Künstlernamen annahm, sondern wirklich Sean hieß; wenngleich mit einem skeptischen Thomas davor.
Mitte der 70er Jahre erreichte seine Karriere ihren zweiten Höhepunkt, als er in drei prächtigen Abenteuerfilmen auftrat: als Berberfürst in »Der Wind und der Löwe«, als kolonialer Glücksritter in »Der Mann, der König sein wollte« und als gealterter Robin Hood in »Robin und Marian«. In diesem Hattrick formulierte er seine Leinwandpersona endgültig aus. Sie schillert zwischen Tatendrang und ironisch erfasster Selbsttäuschung. Bond war ein Opportunist, der die erotischen Möglichkeiten nutzte. Nun wandelte Connery sich zum Romantiker. Hinter der Prahlerei und Selbstherrlichkeit seiner Figuren legte er die entwaffnende Unschuld eines Kindes frei. Sie mochten die Welt beherrschen wollen, kapitulierten aber meist vor dem klugen Temperament ihrer Partnerinnen. Sie verzweifelten daran, wie kompliziert die Frauen waren, ahnten jedoch, dass darin eine Botschaft von Vernunft und Weisheit lag.
Connery war nicht nur das Symbol einer einzigen Epoche. Die 60er blieben zwar eine Grundierung seiner späteren Karriere; Bonds Kaltblütigkeit strahlte bis in seine letzten Rollen aus. Aber der Appetit seiner Figuren auf das Leben gewann an Gravitas. Mit »Der Name der Rose« und »Die Unbestechlichen« (für den er 1988 den Oscar als bester Nebendarsteller erhielt) eröffnete er das dritte große Kapitel seines Schaffens, in dem er unversehens wieder zum Kassenmagneten wurde, einem noch zugkräftigeren sogar. Er war reifer geworden, was auch der Ironie größeren Spielraum eröffnete. Er war vergnüglich als Indiana Jones' Vater, undurchschaubar in »Jagd auf Roter Oktober« und wagemutig als uneingestanden homosexueller Schriftsteller in »Forrester – Gefunden!«. Als demütig Liebendem in der John-Le-Carré-Verfilmung »Das Russland-Haus« gelang ihm ein Kabinettstück erwartungsfroher Wehmut.
Das beherrschte Handwerk war bereits seit Bond eine Kardinaltugend seiner Charaktere; nun verkörperte Connery eine Melancholie der Könnerschaft. Er avancierte zum lernfähigen Mentor einer neuen Generation. Seine Virilität blieb rüstig: 1989 wurde er zum »Sexiest Man Alive« gekürt, zehn Jahre später zum »Sexiest Man of the Century«. Sein letzter Auftritt in »Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen« war 2003 ein schaler, bitterer Abschied vom Kino. Zuletzt litt er an Demenz. Aber auf der Leinwand war es tröstlich, diesem Schauspieler beim Älterwerden zuzuschauen. Er fühlte sich wohl in seiner Haut und er wusste stets, wer er war. Was nicht nur vom Akzent abhing.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns